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Denunziationen im preußischen Vormärz 1815 bis 1848Rezension zu einer Preußen betreffenden juristisch orientierten NeuerscheinungAnzeigen von Bürgern beim Staat über andere Bürger haben eine lange Tradition und sind als Instrument der Beteiligung des Volkes an der Herrschaftspraxis allezeit sehr beliebt gewesen, freilich auch moralisch teils höchst umstritten, nicht zuletzt vor allem wegen der Rolle der politischen Denunziationen in totalitären Regimen wie im NS-Staat oder in der DDR. Der Jurist Jakob Nolte lenkt mit seiner rechtshistorisch orientierten Dissertation den Fokus des Themenkreises erstmals detailliert auf die Zeit der Entstehung politischer Verfolgung modernen Stils (wie er es nennt), das heißt die Begründungs- und Pionierzeit der politischen Polizei in Preußen, die Vorbildfunktion für das ganze Deutsche Reich übernahm und daher mit gewisser Repräsentativfunktion ausgestattet, das ausschließliche Untersuchungsgebiet bei Nolte darstellt. Zu Recht, denn die preußische politische Polizei wurde später zum Vorbild vieler anderer deutscher ähnlicher Institutionen. Nach einem Einleitungskapitel über den Forschungsstand widmet sich Nolte zuerst en detail der problematischen Begriffshistorie der Definition "Denunziation", die in unterschiedlichen Zeiten verschiedene Bedeutungen und auch Worthülsen (als Synonym wurde auch "Anzeige" verwendet) besessen hat. Ein Beispiel hierfür ist die mit politischen Inhalten gar nicht in Verbindung stehende Anzeige eines Adeligen bei der Obrigkeit über eine Schwängerung mit Duellfolge im Hinterpommern des 18.Jahrhunderts. Protagonist der Geschehnisse ist Jakob Ludwig v.Bandemer (1709-1747). Er muß schon früh in polnische Dienste gegangen sein, denn 1728 wurde er als polnischer Freikorporal genannt und wurde wegen Schändung seiner Schwester Anna Christiana obrigkeitsbekannt. Denn er wird genannt in einem Bericht der Pommerschen Regierung über die am 18.Oktober 1728 stattgefundene Duellsache zwischen zwei Vettern v.Bandemer. Beteiligt waren hieran neben dem erst 18jährigen Freikorporal Jakob Ludwig als "Denunciant" (Anzeigender) noch der Vetter Werner Ernst v.Bandemer aus Wendisch-Bütow als "Denunciat" (Angezeigter). Jakob Ludwig hatte dabei seinem Vetter Werner Ernst "mit der Pistohl durchs Camisohl geschossen, [denselben zum Zweikampf] heraußgefordert und das Dorff anzuzünden gedrohet", "daß weilen der Denunciant des Denunciaten Schwester prostituiret und geschwängert habe, Er aus einem gerechten Eyffer denselben, als Er Ihm ohngefehr begegnet, dieserhalb zur Rede gesetzet und mit der Fläche des bloßen Degens einmahl geschlagen, dem Denuncianten aber damit so wenig, als daß er die Pistohle, welche blind gelahden gewesen, hinter ihm loßgefeuert, einigen Schaden zugefüget." Jakob Ludwig, dem die Strafbarkeit seiner Handlung wohl bekannt gewesen sein dürfte, war daraufhin außer Landes geflüchtet, denn auf Vergehen wider das Duell-Edikt standen hohe Sanktionen. Der Adel Pommerns sollte seine Energie nicht in unnötigen Duellen vergeuden, sondern dem Militärdienste widmen. Da die behördliche Verfolgung der Schuldigen auch dann betrieben wurde, wenn diese sich schon ins Ausland abgesetzt hatten, sollte Jakob Ludwig einige Jahre später deswegen der Prozeß wegen verübter Selbstrache gemacht werden. König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der Soldatenkönig, verfügte in Jakob Ludwigs Abwesenheit zunächst Mitte Juni 1731, [1] daß er, so bald er nur irgendwo in Preußen auftauche, wegen seines Vergehens zu dreimonatiger Festungshaft nach Kolberg zu bringen sei. Im Juli 1737, nach drei Jahren, war Jakob Ludwig immer noch flüchtig und auch über seine Mutter nicht zu erreichen. Nun wurde der Soldatenkönig, der die Sache immer noch verfolgte, unbarmherziger und befahl, ihn, "wan Er sich im lande betretten läßet, mitt einjährigem Vestungs-Arrest zu bestraffen und die hierin verwandten Kosten zu erstatten", die durch die Ermittlungen des Advokatus Fisci und Kriegsrats Dreger entstanden waren. [2] Ob er je seine Strafe abgesessen hat, ist nicht bekannt. Da er ohnehin in polnischen Diensten gestanden hatte, dürfte sein Drang, in die Heimat zurückzukehren, nicht sonderlich groß gewesen sein. Dennoch waren seine Verbindungen nach Hinterpommern eng. Ihm war per Lehn ein Anteil von Wendisch-Buckow eigen. Ferner hatte er sich am 11.April 1733 für 633 Taler zwei Drittel des Gutes Prebendow b von Lorenz Georg v.Stojentin erworben. Arrondiert hatte er es wenige Jahre später mit dem Ankauf des letzten Drittels am 13.Juli 1739 für 2.200 Taler von Jakob Döring v.Goddentow. Desgleichen erwarb er am 9.Januar 1740 von Georg Gneomar v.Zitzewitz die Gutsanteile Gansen b und Goschen a, wurde derer jedoch nicht habhaft, da die Familie v.Zitzewitz noch vor Erteilung eines Lehnbriefes ihr altes Vorkaufsrecht einlöste und ihm die beiden Güter wieder abnahm. Mit Barbara v.Kameke († vor Juni 1760) nahm sich Jakob Ludwig v.Bandemer außerdem eine Ehefrau aus dem einheimischen Uradel Hinterpommerns. Deren beider Nachkommen repräsentierten die † Linie Kunhof des Geschlechts immerhin bis zum Ende des 19.Jahrhunderts. Aufgrund dieser und ähnlicher Schwierigkeiten bei der Erfassung der Definitionsproblematik zur - hier nicht politischen - Denunziation mußte Nolte zwangsläufig den Begriff enger fassen und definieren. Auf diese Weise kommt Nolte zu dem Ergebnis, daß Denunziationen immer unregelmäßig und freiwillig erfolgten, ansonsten nicht als solche zu klassifizieren wären. Eine Denunziation war also stets mit Handlungsspielraum für den Denunzierenden versehen, der ihm eine besondere Bedeutung und Verantwortung verlieh, obgleich doch viele Denunzianten - namentlich im NS-Reich, die Verantwortung für das, was mit den Denunzierten geschah, nicht übernahmen, wobei ihnen teils von den Gerichten Recht zuerkannt worden ist. Dieser Handlungsspielraum macht das Phänomen der Denunziation zu einem interessanter Untersuchungsgegenstand, eben weil es zu einer gewissen Dynamik im Beziehungsdreieck zwischen Behörde, Anzeigendem und Angezeigtem kam, die nur schwerlich thematisch erfaßbar und einzuordnen ist. Nolte begegnet dieser methodischen Herausforderung in zwei Teilen. In einem ersten Teil geht er auf die Formalien, Gesetze, Regularien und Beziehungsdreiecke der Denunziation ein, die Hintergründe politischer Verfolgung nach den Karlsbader Beschlüssen und dem Hambacher Fest zur Zeit der Demagogenverfolgungen, in denen sogar mindestens ein Adeliger seinen Adel und seine von allen erwartete klassischen Lebensplanung verlor: Ewald v.Massow. Der junge Uradelige stammte aus Brandenburg und war 1812 geboren worden als Sohn des Gutsbesitzers auf Tankow und Rittmeisters Ewald Friedrich v.Massow (1761-1827) und der Florina geborene v.Kamptz. Er widmete sich nach universitären Studien der Landwirtschaft, war Korpsstudent in Jena, 1834 im Alter von 22 Jahren verhaftet. Seine Teilnahme an "hochverräterischen Verbindungen", seine Unterstützung des Preßvereins und eine Majestätsbeleidigung brachten in in zahlreiche deutsche Gefängnisse. Als Strafe war er am 11.Dezember 1836 zum Tode verurteilt worden, doch begnadigte ihn der preußische König am 26.März 1838 zu zehnjährigem Arrest, außerdem verlor er das Recht die preußische Nationalkokarde zu tragen, sein Vermögen wurde gerichtlich eingezogen, und er erlitt wie erwähnt den Adelsverlust. Er war zuletzt Beflissener der Landwirtschaft, 1834 in Berlin und Glatz in Haft, 1836 in Posen. Ewald v.Massow kam später nach Kolberg, von wo aus er per Schiff nach Amerika floh, "wo er sich dem Vernehmen nach eine gute Position aufbauen konnte". Sein Todesdatum und weiterer Verbleib ist bis heute unbekannt. [3] Ob indes auch er Opfer einer Denunziation geworden war, ließ
sich nicht mehr feststellen. Nolte widmet sich dann verdienstvoller Weise
in einem zweiten Teil der Vorstellung des Hardenbergischen Spitzelsystems
durch »Halbweltler«, die er nach Quellenlage, sofern möglich,
ausführlich in ihrem Lebenslauf, ihren Motivationen und Taten darstellt.
Er widmet sich den Opfern, den Tätern und den Behörden sowie
den drei Sichtweisen und Perspektiven, was die gesamte Untersuchung farblicher
und lebendiger erscheinen läßt und im Gegensatz zu anderen Werken
nicht in der Trockenheit der Normativität erstarrt. Nolte verarbeitet
alle denkbaren Bereiche von Denunziationen im Vormärz: Unter Studenten
und Professoren sowie - in einer kleineren Gruppe - unter außeruniversitären
Beteiligten, die oftmals Denunziation als Lösungsmöglichkeit
eines verwandtschaftlichen oder familiären Konfliktes instrumentalisierten.
Überhaupt scheint es nach Nolte den Anzeigenden fast stets um eine
bessere Positionierung ihrer selbst bei der Obrigkeit gegangen zu sein
anstatt um eine "wahrhaft patriotische Tat". Aber auch von Seiten des Staates
wurde die Denunziation instrumentalisiert: Sie diente nicht nur der Auskunftsermittlung
in oppositionellen Bevölkerungskreisen - vor allem den Universitäten
als der intellektuellen Keimzelle - sondern auch der Schaffung einer niedrigen
Angstschwelle bei politisch Aktiven, die dadurch in ihrer Tätigkeit
für Republik und Demokratie eingeschüchtert werden sollten. Angesichts
aktueller
Sehr hilfreich abgerundet wird die sehr umfangreiche Arbeit durch einen Personen- wie auch einen Sachweiser, der abseits der an sich bereits sehr aufgeschlüsselten thematischen Gliederung einen Quereinsteig und eine gezielte Suche möglich macht. Allerdings ist das Verzeichnis der Personen mit Bedacht und einiger Phantasie zu benutzen, da in ihm leider nur die Personennamen Aufnahme fanden, die in der historischen Analyse vorkommen. Offensichtlich zählen dazu nicht diejenigen Nennungen, die nur in den Zitaten der originalen Akten des Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu Berlin genannt werden, denn es fehlt beispielsweise Adolph v.Müller (Seite 441) im Personenweiser auf Seite 530. Weiters ist zu bemerken, daß die Namenschreibung der Adeligen unter den Genannten gelegentlich recht abenteuerlich ist und hier bleibt es bedauerlicherweise nicht bei einem Einzelfall: Auf Seite 531 ist im Personenverzeichnis "Eugen v.Puttkammer" aufgeführt, der sich aber doch nur wie die ganze Familie richtigerweise lediglich "v.Puttkamer" schreibt. August »Graf Neidhart v.Gneisenau« wurde bei Nolte nicht nur auf Seite 526 unter "G" wie Gneisenau anstatt unter "N" wie Neidhardt aufgeführt, sondern zusätzlich auch ohne das "d" in "Neidhardt" geschrieben. Ebenso falsch angeordnet im ABC wurde von Nolte auch der Königlich Preußische Hauptmann Heinrich Sixt von Arnim des Stammes Six (nicht des Stammes Sixt!), der unter anderem als preußischer Diplomat 1820 in Bern tätig war. Ihn, der durch eigenmächtige Adelsbeilegung zum Stammvater der Familie Sixt v.Arnim wurde,112 muß man bei Nolte im Personenweiser auf Seite 519 ohne einen Vornamen unter "Arnim, Sixt von" suchen, obwohl er der Familie v.Arnim gar nicht angehört und das "Sixt" ein Nachnamensbestandteil ist. Gleiches trifft auch zu auf die Familie "Stein zum Altenstein", die unter "A" auf Seite 519 gesucht werden muß, obgleich sie auf Seite 535 hätte abgedruckt werden müssen. Weiters fehlt bei Nolte auf Seite 525 die Bezeichnung "v.der" bei dem Diplomaten August Friedrich Ferdinand v.der Goltz, die Familie der Dohna-Schlobitten heißt bei Nolte auf Seite 522 falsch "Grafen von" anstatt "Burggrafen und Grafen zu", die Solms-Laubach werden auf Seite 534 auch zu einer "von"-Familie erklärt, obwohl sie doch nur das "zu" im Namen führen. Das "Wylich" wird im Personenweiser auf Seite 529 als Vorname wie bei "Sixt" gewertet, weshalb daher die Familie Wylich v.Lottum unter "L" wie Lottum und nicht unter "W" zu finden ist. Einige der Falschschreibungen freilich sind nicht Nolte, sondern den ursprünglichen Urhebern anzulasten, beispielsweise die Nennung "Freiherr v.Hedemann", obwohl die Hedemanns nie Freiherren gewesen sind. Der Oberförster v.Hedemann hatte 1821 in Schöneck in Westpreußen angeblich ein Freikorps aufstellen wollen, um die preußische Regierung zu stürzen. Nach einer Denunziation durch seine Schwiegermutter, die regelmäßig seine Papiere durchwühlte, war er in der Folge wegen seiner konspirativen und "demagogischen Umtriebe" aus dem preußischen Forstdienst entlassen worden (Seite 421, 427-428 und 435-437 bei Nolte). Mit diesen Bemerkungen zum Sach- und Personenweiser sei die Verwirrung im Verzeichnisteil allerdings nun abgeschlossen. Nolte hat, von den starken Mängeln in diesem ergänzenden Anhangsteil abgesehen, eine gut lesbare, detaillierte und definitionsreiche Fleißarbeit abgeliefert, die als gelungen bezeichnet werden muß. Sie besitzt die richtige Balance zwischen Normativität und Faktizität, ordnet die Fallbeispiele gekonnt in Übersichtsgebiete ein und kommt zu allgemeingültigen ableitenden Schlüssen in bester wissenschaftlicher Manier. Im Zuge aktueller Bedeutung des Themas in der Post-DDR-Ära hat Nolte ein verdienstvolles und typisches Werk der Forschungsströmung der »Juristischen Zeitgeschichte« vorgelegt. Annotationen:
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