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Controllmädchen in Hamburg zwischen 1918 und 1954Rezension zu einem Werk über die zeitgeschichtlichen Hamburger Venusdienerinnen [1]Obwohl die Prostitution, die "gewerbsmäßig betriebene Hingabe weiblicher Personen zur Befriedigung geschlechtlicher Triebe", wie es noch gegen Ende des 19.Jahrhunderts in Deutschland hieß und verstanden wurde, [2] zu allen Zeiten der Geschichte ein bedeutender Wirtschaftszweig war und durchaus auch freiwillig ausgeübt wurde, so ist doch die Verbindung zwischen Prostitution und kriminellem Milieu unverkennbar und unauslöschlich historisch miteinander verknüpft. Zumindest ist diese Verknüpfung von den Obrigkeiten konstruiert
worden. Beispiele für tatsächliche Berührungspunkte liefern
indes auch einige Adelige: So verlor im Jahre 1856 im Königreich Preußen
Malwine v.Badinski, Tochter eines verblichenen Steuerbeamten beim Kreisgericht
Gumbinnen, aus Noruschatschen stammend, ihren Adel wegen eines Diebstahls
als Venusdienerin. Sie entstammte einem verarmten Adelsgeschlecht und ihre
Mutter war in zweiter Ehe mit einem Stellmacher verheiratet. Der Insterburger
Oberstaatsanwalt Kühnemann urteilte über Malwine v.Badinski,
sie sei "eine der liederlichsten Straßendirnen", welche sich "in
Gumbinnen vielfach behufs Unzucht umhertreibt. Vor einiger Zeit wurde sie
wegen gewerbsmäßiger
Auch Dorothea Christiane v.Herzberg verlor 1862 ihren Adel. Sie stammte aus Brandenburg, war eine geborene nichtadelige Köhler und lediglich Gattin eines Schlossergesellen geworden, machte sich der Vermittlung von Gelegenheiten zur Gewährung von Unzucht und Prostitution auffällig und war vorbestraft wegen Kuppelei. Wegen "Kuppelei im Rückfall" wurde sie zur Untersagung der bürgerlichen Ehrenrechte auf ein Jahr. Diese Beispiele aus dem Adel freilich blieben Ausnahmen, da selten
Angehörige der elitären Schichten in die soziale Randgruppe der
gesellschaftlich geächteten Venusdienerinnen abrutschte. Und in diesen
beiden Fällen - den einzigen in Preußen aktengemäß
mit einem Adelsverlust in Verbindung stehenden - waren die betreffenden
Frauen nicht einmal mehr standesgemäß tätig gewesen, in
anderen als den zu dieser Zeit für den Adel üblichen Berufs-
und Sozialkreisen aufhältlich gewesen.
Vom Mittelalter her, das durch die deutliche christliche religiöse Bindung der Prostitution Einhalt gebieten und sie abschaffen wollte, kam es in der Frühen Neuzeit und dann in der Neuzeit zu anderen Positionen seitens der Behörden und Landesherren. Hier trat man nun im Allgemeinen für eine Reglementierung der Prostitution ein, erkannte ihr Vorhandensein an, wollte nur die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten verhindern. Dieses Grundkonzept im Umgang mit modernen Hetären wurde meist bis heute beibehalten, auch wenn in Europa die Behandlungsmöglichkeiten des Problems unterschiedlich angegangen worden sind. Der Wunsch nach Eindämmung der Geschlechtskrankheiten, aber auch nach machtvoller staatlicher Einflußnahme auf das Wesen der Prostitution, führte schließlich im 19.Jahrhundert zu einer Reihe von europäischen Gesetzen, welche Kontrollmöglichkeiten über die Prositution begründen sollten. Seit der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts sammelte Frankreich alle Liebesdienerinnen in den Maisons tolérées (Bordellen) als zentralisierte "Wohnstätten feiler Sinnenlust" zur leichteren Überwachung. Und: Seit 1864 wurde in England das Prostitutionswesen an 14 Hafen- und Garnsionplätzen staatlich beaufsichtigt und geregelt. Und mit der Einführung des Reichsstrafgesetzbuches im Jahre 1871 nach der deutschen Reichsgründung von einer dezentralen kommunalen in eine zentralisierte und gleichmachende Behandlung von Prostituierten durch den Staat. Diese Zeit und dieses Gesetz sind zugleich der Geburtsort des fortan stark benutzten Begriffes "Controllmädchen" und "Controlldirne", wobei der erste Begriff im historischen Kontext weit häufiger angewendet wurde. [4] Das Gesetz bestimmte, daß künftig jede Freudendienerin
polizeilich registriert und regelmäßig gesundheitlich untersucht
werden mußte. Die Frauen wurden daher in sanitätspolizeiliche
Kontrolle genommen. Auch in Österreich wurden Dirnen polizeilich seit
1873 in sogenannten "Gesundheitsbüchern" erfaßt. Das Deutsch
Reich folgte damit weitgehend einem internationalen Kontext, der in der
Kontrolle außerehelicher käuflicher Lustbefriedigung sein Heil
sah, erkennend, daß die abolitionistischen Bestrebungen zahlreicher
Gesellschaften und Verbände zur gänzlichen Abschaffung der Prostitution
nicht realisierbar waren. Somit fand sich der Staat zwischen den Positionen
der Idealisten und der Pragmatiker wieder. Kontrollmädchen waren somit
Frauen, die seit 1871 der "erwerbsmäßigen Unzucht" nachgingen
und sich prostituierten, aber auch vielfach nur solche, die den Behördenvertretern
(meist ausgestattet mit sehr hohen moralischen Auffassungen) als verdächtig
erschienen, der Prostitution nachzugehen. Dieser große Auslegungsspielraum
des bloßen "Verdachts" konnte tatsächlich für die einzelne
sexuell unangepaßt agierende Frau sehr gefährlich werden und
eine Rufschädigung heraufbeschwören.
In einem vierten und letzten Kapitel geht Freund-Widder auf das Sozialprofil der Gesamtheit der Hamburger erfaßten Prostituierten ein, wobei sie die Quellenlage als sehr kritisch beschreibt. Denn aufgrund einer Beurteilung auf Archivwürdigkeit die sich einseitg leider hauptsächlich mit dem Augenmerk auf vergessene Opfer des Nationalsozialismus stützte, wurden seitens des Hamburger Staatsarchivs nahezu 11.000 von fast 13.000 Einzelfallakten der Zeit von 1918 bis 1957 im Jahre 1994 vernichtet - sie galten schlicht als archivunwürdig. Abgesehen vom Verlust dieser Akten für die biographische und Sozialforschung ist die Ermittlung wirklich repräsentativer Angaben in der Tat problematisch zumal die Verfasserin auch noch durch Zufallsgenerator lediglich 172 von den verbliebenen 1.722 Akten benutzt hatte. Dennoch deckt sich ihr Befund über das Alter und die geographische Herkunft mit Beispielen von neun norddeutschen Controllmädchen, die der Rezensent in deutschen Fahndungsblättern des Jahre 1901 ermitteln konnte. Demnach waren die Mädchen sämtlich zwischen 1870 und 1879 geboren worden, standen mithin in einem Alter 22 bis 31 Jahren. Diese Altersgruppe nimmt auch bei Freund-Widder über 50 % des Samples ein. Der überwiegende Teil der Controllmädchen kam sowohl in Hamburg als auch in Schleswig-Holstein aus dem deutschen Ausland und nicht aus Hamburg, war außerdem familiär nicht gebunden, sondern alleinstehend. Typisch in dieser Hinsicht war beispielsweise die ledige Emma Ida Wilcke, geboren am 27.Januar 1879 in Magdeburg. Sie lebte als Controllmädchen um die Jahrhundertwende in Altona, betrieb aber außerdem noch freie Prostitution und entzog sich somit teils der polizeilichen Aufsicht. Demgemäß war die 22jährige sonst berufslose Frau etwa im April 1901 wegen "Unzucht" vom Schöffengericht Altona rechtskräftig zu einer dreiwöchigen Haftstrafe verurteilt worden. [5] Abschließend betrachtet hat Michaela Freund-Widder mit ihrer umfangreichen und detailreichen Arbeit, in der sie auch einzelne anonymisierte Lebensläufe von hamburgirschen Hübschlerinnen präsentiert, einen wichtigen Beitrag geleistet, der jahrhundertelangen Sichtweise auf Prostituierte eine neue Perspektive hinzugefügt zu haben. Das Thema historische Prostitution bleibt darüber hinaus interessant, vor allem die Doppelmoral gesamtgesellschaftlicher Ächtung und heimlicher Akzeptanz durch die Gesellschaft der Freier zugleich. Annotationen =
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© Dr. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., B.A. – Das Deutsche Steckbrief-Register ist ein wissenschaftliches Bestandserschließungsprojekt versteckter deutscher Archiv- und Bibliotheksbestände unter Federführung des Instituts Deutsche Adelsforschung zum Zwecke der devianten Familienforschung und Ahnenforschung im Bereich historischer sozialer Randgruppen. |