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Antoine Watteau und seine galanten FesteRe/Präsentationen von dem und für den Adel seit der Epoche des Ancien RégimeNähert man sich dem aus Valenciennes stammenden Künstler Antoine Watteau (1684-1721), dem französischen Rokokomaler der vorrevolutionären Zeit, als – weitgehend noch – die europäische Adelsherrschaft unangefochten war, so haben seine Werke einen bestimmten Ausdruck und Klang. [1] Nicht nur werden sie gekennzeichnet durch immer wiederkehrende Motive, wie Rückfronten menschlicher Figuren oder durch Bäume scheinendes Himmelslicht, sondern auch die eigentümliche Verortung des Menschen in der Natur, die allerdings schon lange eine vom Menschen geformte Kulturlandschaft war, gehören zu den Charakteristika seiner scheinbar mit leichtem Pinselstrich hingehauchten Werke. Dazu notierte ein Anonymus (1845): “Wenn man das kleine Schloß zu Sanssouci besucht und gleich links beim Eingang in eine Galerie tritt, die nur von geringer Ausdehnung ist, und ihre Fenster nach der Hofseite des kleinen Palais richtet, gewahrt man fünfzehn Gemälde, sämmtlich Watteau‘s, alle so ziemlich von gleicher Güte, doch nicht gleich wohl erhalten. Friedrich der Große, dessen Lieblingsmaler Watteau war, stellte die Bilder auf‘s Fenster in seiner Nähe, um sie, da er kurzsichtig war, mit Muße betrachten zu können, und beachtete nicht, daß die Sonne auf die Tafeln schien und sie bleichte. Diesem Grunde schreibt man zu, daß einige dieser Bilder ein fast schattenhaftes Ansehen gewonnen haben und stark gegen andere abstechen, die noch im vollen Schmelz ihrer schönen Farben glänzen. Man kann diese fünfzehn Bilder nicht ansehen, ohne daß ein Strom von Heiterkeit und Schönheit einem in die Seele dringt. Dieser klare, farbenglühende Abendhimmel, diese anmuthigen Gestalten, diese zauberhaften Gärten und Wiesenplätze. Alles zusammen macht den Eindruck, als erzählte uns Jemand mit sehr wohlklingender Stimme ein schönes Märchen und wir hörten es an, indem wir zugleich auf die Akkorde einer bezaubernden Musik lauschten, die aus der Ferne herüber tönte. Es ist nicht die Schönheit, die mit der Größe gepaart erscheint und unsere Seele ausweitet, indem sie ihr tausend edle und hochherzige Entschlüsse mittheilt; es ist auch nicht die Schönheit, die sich dem Gedanken vermählt und tiefsinnige Ideen, mächtige und erfolgreiche Forschungen in uns gebiert; nein, es ist die süße, tändelnde Schönheit, die wie eine reife Frucht vor unsern Lippen duftet, die unsern Sinn in einen bescheidenen Taumel, unser Nachdenken in einen lächelnden Traum wiegt. Wir sehen etwas vor uns, was Poesie ist, aber sich nicht prahlend vor uns kund gibt, das wie ein Spiel, das glückliche Kinder spielen, vor uns vorhei gaukelt. Es ist unmöglich, Watteau‘s Bilder nachzuahmen, weil man Watteau‘s Seele sich nicht aneignen kann. Alle Nachahmungen dieses unübertrefflichen Anmuthschöpfers sind mehr oder weniger plumpe Commeragen, Plaudereien der Spinnstube, die dem Geschwätz der jungen Gräfinnen nacherzählt werden, oder es sind kleine gemalte Laster, verbotene Uebertreibungen verbotener Sitten, während Watteau fast immer rein und lieblich bleibt, wenn er auch Gegenstände behandelt, die in der verderbten Welt, in der er lebte, wenig Unschuldsseiten darboten.“ [2] Auch wenn man nicht die abwertenden Urteile des anonymen Verfassers dieser Lebensweltbeschreibung zustimmen möchte (die starke Rezeption Watteaus im Kunstgewerbe scheint diese negativen Urteile nicht zu bestätigen), so lassen sich doch ganz wesentliche Spezifika von Watteaus Wirken und Werken an diesem Text aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert ermitteln. Leichtigkeit, oft sommerliche parkähnliche Szenarien, darin Liebespaare oder Paare, die erst noch im Liebeswerben begriffen sind, wurden, wie in den verschiedenen Versionen der „Pilgerfahrt“ oder „Einschiffung“ nach dem sagenhaften „Kythera“ als Liebesinsel deutlich wird, mit Putti angereichert, so daß Gemälde entstanden, die Fiktion und Faktion auf eine eigentümliche Weise miteinander vermischten. [3] Die von Watteau begründete neue Bildgattung der Malerei waren die „fêtes galantes“, jene „galanten Feste“, die auch von einer Reihe anderer Maler nachgeahmt wurden, da sie, vor allem nach Watteaus frühem Ableben als 36-jähriger, zur Mode geworden waren. Dargestellt wurden mithin vor allem Schäferszenen, die auf eine doppelte Weise, wie die Überschrift hier andeutet, mit dem Adel als sozialer Schicht konnotiert waren. Erstens hatte dies mit den dargestellten Personen zu tun. Denn nur Adelige hatten Zeit, sich Schäferspielen hinzugeben, sie waren in der Vormoderne aristokratische Spiele, eine standesgemäße adelige Beschäftigung; Adelige selbst stellten dabei in einem „lebenden Bild“ oder einem „tableau vivant“ Schäferszenen nach. [4] Auch die Kleidung ist durchwegs ungeeignet zum praktischen Vollzug der Schäferei, spricht vielmehr für eine vornehme und wohl- und zeithabende Gesellschaft, Arbeitsferne, Müßiggang, feinste Stoffe scheinen auf, Rüschen, Spitze, die Farbe Weiß. Dies alles war indes nicht nur Fiktion, sondern Adelige fanden auch in der Realität Gefallen am Schäferspiel. Elias (1969) hatte dazu die These aufgestellt, daß der Adel am Hofe einen Zivilisierungsprozeß habe absolvieren müssen, der ihn vom ländlichen Leben entfremdet und diszipliniert sowie „formatiert“ habe. Manieren als Schliff gekünstelter Umgangsweisen, die habituelle Beachtung der fein verästelten Humandifferenzierungen, Abstufungen und Rangfolgen der Ungleichheit am Hofe hätten dazu beigetragen. Als Gegenbewegung kultureller Art habe sich dann unter anderem die Ritterromantik und das Schäferspiel entwickelt, wurde das Landleben, das im Schäferspiel idealisiert wurde, zum Sehnsuchts- und Zufluchtsort des höfisch erzogenen Adels, [5] zu einem Arkadien, in dem keine Ränge oder Formen herrschten, sondern idealiter unkonventionelle – „natürliche“ – Umgangsweisen miteinander dominieren sollten. [6] Hierzu notierte Kosch (1992): „Schäferspiel, auch Hirtenspiel, Form des dramatischen Singspiels mit Schäfern (d. h. mit Personen im Schäferkostüm). Angeregt von Tassos ‚Arkadia‘ u.[nd] Guarinis ‚Pastor fido‘, blühte das Sch.[äferspiel] in Deutschland vor allem im Barock. Äußerlich Stoffe dem Landleben entnehmend u.[nd] das Dasein in der Natur als das glücklichste preisend, führt es Schäferszenen vor, die freilich zumeist Maskeraden sind, hinter denen sich die elegante oder höfische Welt verbirgt. Die bedeutendsten deutschen Sch.[äferspiele], schrieben Gryphius (‚Die geliebte Dornrose‘) u.[nd] Goethe (‚Die Laune des Verliebten‘).“ [7] Diese Schäferszenen, vom Adel nachgespielt, wurden – in einer neuen Schleife der Rezeption – von Watteau gemalt und abgebildet, festgehalten, repräsentiert. Zu diesem reziproken Verhältnis zwischen Abzubildendem und Abgebildetem notierte Dohme (1876): „Während die frische Lebenslust am Hofe des alternden Ludwig XIV, mehr und mehr in der Zwangsjacke eines spanischen Etiquettewesens, verbunden mit einer auf jesuitischen Einflüssen beruhenden Frömmelei erstickt wurde, machte sich die den Franzosen eigenthümliche Leichtlebigkeit in den gesellschaftlichen Bestrebungen um so mehr Luft. Der italienische Schäferroman, welcher seinerseits nur die Auffrischung einer antiken Dichtungsart ist, hatte auch in Frankreich Eingang gefunden; und es war bald ein beliebtes Modevergnügen geworden, die Ideenwelt, in der sich jener bewegte, im Spiele wenigstens zu kurzer Wirklichkeit zu machen. In jüngeren Jahren hatte selbst Ludwig nicht ungern an derartigen ‚galanten Festen‘ Theil genommen. Der später vom Hofe ausgehende Zwang, den alle Welt lästig empfand, ließ die Belustigungen nur um so reizvoller erscheinen, Oper und Ballet, die nachgerade zu den Bedürfnissen der vornehmen Welt gehörten, nahmen ihre Sujets mit Vorliebe aus dem gleichen Stoffgebiete; und die Bühnengestalten wieder wirkten zurück auf die Spiele der vornehmen Welt. In der Malerei wird diese Richtung repräsentirt durch Antoine Watteau, der zuerst und in unübertroffener künstlerischer Durchbildung das damals moderne gesellschaftliche Treiben Frankreichs, die ‚fetes galantes‘ in die Malerei einführte; denn hinter seinen meist der Bühne entlehnten Gestalten, wie hinter seinen Hirten und Schäferinnen steckt das elegante Frankreich. Das fühlten die Zeitgenossen sofort heraus, das begründete seinen außerordentlichen Ruf, und deshalb war er von so zündendem Einfluß auf die ganze Zeit. Im Gegensatz zu den damals so beliebten Verzückungen in der religiösen Malerei giebt er eine Apotheose der schönen Sinnlichkeit! Glückselige Gefilde, paradiesisch schöne Gegenden bilden die Hintergründe seiner Gemälde. Daß auf ihnen sich abspielende Leben ist fast immer das gleiche: Gesellschaften in mannigfachster Beziehung der Individuen zu einander. Es sind beständige Variationen des einen Themas: Liebe und Lebensfreude. Im Gegensatz zu Rubens, der mit seiner lebens- und formfrohen Realität noch mehr auf dem Boden der Renaissance steht, zeigt Watteau einen leisen Anflug von Sentimentalität, wodurch er dem modernen Empfinden homogener wird. Vor seinen Bildern weht noch heute den realisten [sic!] Sohn des 19. Jahrhunderts ein eigenthümliches Gemisch von zarter Sinnlichkeit und idealer Poesie an; er seufzt sehnsüchtig: ‚o daß es so wäre!‘ Vor Allem haben sich die Frauen bei Watteau zu bedanken. Weder vor ihm noch nach ihm hat je ein Maler auch nur annähernd so verstanden, den holden Reiz lieblicher Sinnigkeit und Sinnlichkeit, den Jugend und Schönheit über sie ausbreitet, in immer neuen Versionen zu feiern. Gewiß sind seine Frauen coquet, sie sind es aber in naiver und absichtsloser Weise. Zu diesen Frauen passen seine männlichen Gestalten, die – von den komischen Personen der Bühne natürlich abgesehen – jenen schlanken nervigen Typus repräsentiren, welcher der eigentliche Träger der Formschönheit im stärksten Geschlechte ist. Allen Personen Watteau‘s, männlichen wie weiblichen, ist jene in Wirklichkeit so seltene Grazie eigen, welche jede ihrer Attitüden, ob sie stehen, gehen, sitzen, liegen, plaudern, scherzen oder weinen, immer schön und formvollendet erscheinen läßt. [8] Dazu kommt oft ein leiser melancholischer Flor über den Augen und über dem ganzen Wesen seiner Männer, der ihnen jenen, zarten, aber nicht unmännlichen Schmelz verleiht, der auf das weibliche Gemüth eine fast magnetische, undefinirbare Anziehungskraft ausübt. Seine Paare scheinen für einander geschaffen, wir erfreuen uns an ihren Tändeleien, in denen sie sich mit der liebenswürdigen Vertrautheit junger Neuvermählter behandeln. Nirgends verletzt uns wilde Sinnengluth oder, was noch schlimmer wäre, raffinirte Zweideutigkeit. Es ist ein fröhliches, unbekümmertes Genießen des Glückes, beisammen zu sein, bei dem jedes Geschlecht sich von seiner liebenswürdigsten Seile präsentirt; seine Paare scheinen in den Honigwochen einer jungen glücklichen Ehe zu schwelgen. Ein Mangel der Watteau‘schen Gemälde liegt allerdings darin, daß wir in ihnen immer denselben der Bühne entlehnten Typen begegnen. Auf seine Zeitgenossen wirkten aber gerade diese conventionellen Gestalten um so schlagender.“ [9] Hinzu kam bei Watteau als Rahmung die Darstellung des imaginären Ortes seiner Bilder. Caemmerer (2015) spezifizierte dies; sie zeigte „den Schauplatz der bukolischen Literatur und somit auch aller Schäferspiele auf, den locus amoenus: Ein Ort, er mag Sizilien, Arkadien oder ganz anders heißen, der charakterisiert ist durch eine blumenbestandene Wiese, eine Quelle oder einen Brunnen und einige Bäume. Es ist ein Wunschort, ein utopischer Ort, auch ein Ort der Erinnerung, aber stets ein Ort des Glücks, der immer auch auf den Spielort, den Hof, an dem das Stück aufgeführt wird, zurückverweisen soll. Seit den Idyllen Theokrits zeichnet er sich durch permanent schönes Wetter und ewigen Frieden aus, bewohnt von Schäfern, die sich in engster Harmonie miteinander und mit der Natur befinden. Störungen dieser Harmonie, für die als topischer Gegenort der locus terribilis steht, der dunkle und unheimliche Wald, der die schäferliche Landschaft ergänzt, sind nur von kurzer Dauer. Die gesellschaftlichen Strukturen sind gegenüber denen der eigenen Gegenwart so wenig ausgeprägt, dass die Problemstellungen, mit denen sich der Autor auseinandersetzt, seien sie tagespolitischer, gesellschaftlicher oder geistlicher Natur, auf ein Kernmotiv, auf einen Affekt reduziert werden: die Liebe.“ [10] Dabei fällt eine bedeutende Parallelen zwischen Schäfertum und Adel auf; denn beide Soziotypen sahen sich dem Stereotyp des Nichtstuns ausgesetzt, des Müßiggangs, der fehlenden Erwerbstätigkeit, ganz im Gegensatz etwa zu den Bauern und Handwerkern und damit im Gegensatz zu einem Großteil der Bevölkerungen Europas zur Zeit des Ancien Régime. [11] Daher auch war das Schäferspiel grundsätzlich nicht an einem realen, sondern an einem utopischen Ort angesiedelt, wozu Caemmerer (2015) weiter ausführte: „Die Verlagerung der Handlung in den idealen Raum des locus amoenus und die dadurch bedingte relative soziale Gleichheit der Schäfer und Schäferinnen ermöglichen es, unterschiedliche gesellschaftliche Muster der Liebe vorzuführen und zu diskutieren.“ [12] Zudem galt Caemmerer (2015) zufolge das Schäferspiel „als Kasualdichtung im Rahmen von höfischen, seltener auch städtischen Festen. Beim höfischen Fest sind sie integraler Bestandteil der Festdramaturgie. Sie sind vorzugsweise bei ,privaten‘ Familienfeiern ,grosser Herren‘ und ihrer Familien eingesetzt worden, d. h. bei Geburtstagsfeiern, Taufen, Namenstagen, Verlobungen und Hochzeiten. Hier präsentierte der Hof sich vor allem einer hofinternen Öffentlichkeit, um mit den genannten Festen die eigene Dynastie und ihren Fortbestand zu feiern. “ [13] Watteaus Malereien nun könnten in diesem Zusammenhang als in gemalten Szenarien „eingefrorene“ Schäferspiele bezeichnet werden, ebenso die Weiterverarbeitungen, nicht nur bei mimetisch arbeitenden Künstler*innen auf Leinwand, sondern auch in Motiven auf Deckengemälden, Fächern, [14] Paravants, Lackdosen, Supraporten, Wandteppichen, in seinerzeit beliebten Druckwerken wie dem vierbändigen „Recueil Jullienne“ [15] oder in der Literatur [16] die wiederum von Adeligen konsumiert sowie in Schlössern und Herrenhäusern eingebaut worden sind. [17] Überall dort begegnet man den Grundsätze der Watteauschen Malerei, wie sie Ranftl (1909) formuliert hat: „Olympisch heiterer Leichtsinn und sorgloses Genußleben scheint ja das Eins und Alles für die galanten Herren und Damen gewesen zu sein. Die Maler, welche diese Zucker- und Marzipankultur auf ihren Bildchen verewigten, setzten die seideknisternde Gesellschaft gerne auch in eine passende Natur hinein, wo Baum und Busch von Amoretten umflattert werden, und silberne Fontänen lockend plaudern, wo freundliche Frühlingsgötter beständig ‚kleine Blumen, kleine Blätter‘ zu Sträußchen winden, und kokette Marmornymphen aus dem dunkeln Taxus hervorlugen. Diese ganze Welt voll Charme und Spiel wird von Watteau und seinen Nacheiferern in die bekannten vornehmen matten Farbentöne voll weichlicher Müdigkeit getaucht.“ [18] Watteau und seine Malerei, wie sie hier vielfach von Rezipierenden aufgenommen und geschildert worden ist, ist nun Gegenstand einer Ausstellung im Berliner Schloß Charlottenburg geworden, die auch einen zugehörigen Katalog hervorgebracht hat. [19] Sowohl Katalog als auch Ausstellung widmen sich, nachdem Werkdokumentationen Watteaus schon in vielen Ländern im Verlaufe der letzten Jahrhunderte hinreichend geleistet worden sind, speziellen Bereichen der Watteauschen Malerei zu, vor allem ihrer Vermarktung und Verbreitung, unter anderem auch in Form Vigneschen Tapisserien (Seite 234-249), der Fächer (Seite 140-153) und Druckgraphiken (Seite 102-121 und 124-139). Aufhänger für die Orientierung ist das Watteau‘sche Gemälde „Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint“, in der Ursprungsform stammend aus dem Jahre 1720, welches in einem eigenen Pilotartikel des Katalogs (Seite 60-85) in seiner myrioramatischen und Hybridfunktion als Kunstwerk, Reklame und Handelsobjekt analysiert wird. Hierauf werden wohlhabend gekleidete Figuren, wohl solche des Adels, dargestellt. Es wird gezeigt, wie sie sich Gemälde und Portraits im Laden des Kunsthändlers Gersaint auf der Brücke von Notre-Dame in Paris anschauen. Wie in einem Brennglas wird hier aber auch die Begegnung der Stände auf der Ladenschwelle zur Brückenstraße hin inszeniert: Adel einerseits, dem Betrachten und Abwägen des Schönen, des ästhetischen Lebens ergeben, bereit, Geld auszugeben einerseits, andererseits aber die Randfigur auf der Straße, die Angestellten, der Geschäftsinhaber, die in arbeitender Haltung und ehrerbietig, in schlichterer Kleidung, das potentielle Geschäft vorbereiten und so den Kund*innen helfen, ihren sozialen Status und Stand „standesgemäß“ mit dem Erwerb und der Versammlung neuer Kunst-Aktanten noch besser und eindringlicher zu re/präsentieren (zum Ladengeschäft auf der Brücke siehe den Aufsatz im Katalog auf Seite 38-59). [20] Anhand des Werkes der „Einschiffung nach Cythera“ wird Watteau im Katalog außerdem als typischer Maler der oft als unruhig und unkalkulierbar wahrgenommenen Epoche der Régence vorgestellt (Seite 25), als eklektizistischer Künstler, der durch die Mannigfaltigkeit seiner Inspirationen eine neue Bildgattung der Unbeschwertheit und adelig-ruralen Verbundenheit schuf, [21] die im Kunstmarkt aus sich fortwährenden Praktiken-Arrangement-Geflechten von Anregungsideen, Vorgänger*innen, Rohstoffliefernden, malend Produzierenden, Handelnden, Kaufenden, Betrachtenden, Rezensierenden und Restaurierenden bestand. [22] Der Katalog nimmt etliche dieser Gruppenbildungen in den Blick, so auch Friedrich den Großen und seine Sammlung (Seite 186-211), die Verarbeitungen auf Porzellan in Berlin (Seite 212-231); diese Werke, wie auch die schon erwähnten Tapisserien, wurden bisweilen über die ganze Welt verteilt. Dazu notierte ein Anonymus (1896): „Im kaiserlichen Palast zu Peking war oder ist noch ein Berliner Gobelin vorhanden, der auf Bestellung der russischen Kaiserin Anna Paulowna in der Berliner Manufactur von Charles Vigne ungemein fein in haute lisse gewebt und von der Bestellerin dem damaligen Kaiser von China als Geschenk übersandt ward. Charles Vigne schildert den Teppich in einer längeren Eingabe vom 10. Februar 1741, in der er Friedrich den Großen für seine Manufactur um Unterstützung bittet. Der Teppich stelle einen Garten mit Orangenbäumen, Vasen, Blumenguirlanden und Figuren in Watteau‘s Art dar. Die Kaiserin habe ihm diesen Gobelin mit 10.000 Rubel bezahlt. Ein zweites Exemplar desselben Gobelins im Werthe von 10.000 Thalern habe er auf Lager liegen. Der gesammte Lagerbestand an Gobelins belaufe sich auf 81.700 Thaler. An Absatz sei bei den schlechten Zeiten kaum zu denken. Das veranlaßte den König, an den Rand der Eingabe zu schreiben: „Etatsministre von Podewils: Wenn die fremde Gesandte Presenter kriegen, muß man jedesmal von Vigne eine Tapete von ungefähr 1500 Reichsthaler nehmen.‘ Aus der Bestellung der russischen Kaiserin und aus dem hohen Lagerbestande geht hervor, daß die Vigne‘sche Gobelinmanufactur, die 1727 in Berlin gegründet ward, nachdem schon die beiden Barrabands und Pierre Mercier, dieser seit 1636, Gobelins in Haute Lisse gewebt hatten, von großem Umfange war und bedeutendes Ansehen genoß. Charles Vigne sandte seine Gobelins sogar nach Amerika und genoß überhaupt europäischen Ruf, obgleich die umfangreichen Manufacturen in Brüssel, Paris, Beauvais, Aubusson und in verschiedenen italienischen Städten vorzügliche Arbeiten lieferten. Gegenüber dieser Concurrenz wurden Vigne‘s Erzeugnisse in den brandenburgisch-preußischen Landen nach Möglichkeit durch einen Werthzoll von 40 v. H. geschützt. Im Jahre 1737 waren in der Manufactur 26 Stühle, 31 Gesellen, 16 Lehrlinge und 1 Maler, sowie an Hilfskräften 210 Personen beschäftigt. Dann aber ging es mit der Manufactur bergab. Eine Lotterie, die der König 1744 im Interesse der Manufactur bewilligte, in der Art, daß als Gewinne Gobelins ausgespielt wurden, scheint den Verfall nicht gehemmt zu haben. [23] Nach dem zu Anfang des Jahres 1771 erfolgten Tode Vigue‘s waren die Erben erst recht nicht in der Lage, die Anstalt emporzubringen, zumal da sich der Classicismus zu regen begann, der das Ideal in Grau und Weiß sah. Langsam erlosch die Manufactur – nach dem Tode Friedrichs des Großen ging sie ein.“ [24] All diese Verarbeitungen, die hier vorgestellt worden sind, das Weitertragen der Beschäftigung mit Watteaus Motiven einer watte(au)haft weicher Schäferromantik, die im Katalog als künstlerische wie ökonomische Verarbeitungen und Transformationen vorgestellt werden, haben indes die Erinnerung an Watteau nicht erlöschen lassen; sein Stern leuchtet nach wie vor hell, seine stereotypen (daher aber auch eingängig wiedererkennbaren) „fêtes galantes“ besaßen zwar auch Konjunkturen der schwankenden Beliebtheit, erscheinen aber im Rückblick hinreichend originell, so daß, unabhängig von Watteaus Person, durch die zahlreichen Verarbeitungen und kunstgewerbliche Ausdehnungen eine bleibende Beliebtheit von Produkten „à la Watteau“ (Seite 145) entstanden war. Der Katalog, der außerdem noch manches andere Detail beleuchtet, so Watteau als Ornamentiker (Seite 122-139), ergänzt daher die bisherige Forschung sinnreich als eine Art Geschichte der allelopoietischen Rezeption und Wirkung. [25] Es bleibt künftig indes freilich noch, speziell auf die Konsumption einzugehen, aufzuzeigen, welche Kundenschichten erschlossen wurden und wie die Erzeugnisse benützt worden sind, wie sie Teile eines – um ein Wort von Turszinsky (1912) zu benützen – „Theaters ohne Worte“ wurden und sich in die „Interieurkunst“ einfügten, [26] im praktischen adeligen Alltag oder als Teile einer Sammlung. [27] Wenn indes 1795 in einer österreichischen Zeitung die folgende Annonce erschien, so läßt sich wohl dem Verfasser derselben widersprechen; es war vermutlich nicht der frühe Tod, sondern mehr die schwammartige Aufnahmefähigkeit der sozialen Umgebungen aus den verschiedensten Professionen, Räumen und Zeiten, die Watteaus Stil und Bildgattung der „galanten Feste“ zu einem Erfolg gemacht hatten: „Gemälde zu verkaufen. Es sind vier sehr schöne Watteau, die Vier Jahrszeiten vorstellend, zu verkaufen. Da dieser Meister jung gestorben, so werden diese Stücke sehr selten. Sie sind zu sehen in der Wipplingerstrasse im Starhembergischen Haus Nr. 411 im zweyten Stock von 10 Uhr morgens bis 5 Uhr Abends.“ [28] Dieser Aufsatz stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., M.A., B.A., und erscheint zugleich in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung in gedruckter Form. Annotationen:
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