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Die Gutshausretter aus der Fernsehserie "Mit Mut, Mörtel und ohne Millionen"Band 2 der Bücher zur Serie des norddeutschen Rundfunks erschienenDer Verfasser der Einleitung zum Band 2 zur mehrteiligen Fernsehserie „Mit Mut, Mörtel und ohne Millionen“, diesmal mit dem Untertitel „Abenteuer Baustelle. Von Gutshausrettern und guten Handwerkern“ vermerkte; „Gutshäuser sind nicht nur schillernde Monumente der Baukultur […] Heute wirken sie manchmal wie jene schwarzen Löcher im Weltall, die Astrophysiker so begeistern. Die alles in sich aufsaugen, was ihnen zu nahe kommt. Unmengen an Geld und Energie fließen in sie hinein, ohne dass man die je wiedersieht. Die Gravitation der Gutshäuser wirkt besonders stark auf Individualisten, Charakterköpfe, Wagemutige und Risikofreudige“ (Seite 11). [1] Dies ist ein bemerkenswertes Bild, das bemüht wird, und es ist nachvollziehbar. Dazu notierte ein Anonymus (1814) in einem ähnlichen Fall, auch wenn hier kein adleiges Herrenhaus im Fokus stand, sondern ein Mensch oder vielmehr ein Soziotyp und eine soziale Rolle: „Den Criminalgerichtshof zu Paris beſchäftigte in einer der letzten Sitzungen folgender Fall, wobei das Journal de Paris, welches denſelben erzählt, die Bemerkung macht, daß zuweilen in den Criminalgerichten Fälle vorkämen, welche mit Umſtänden begleitet wären, die die Richter nöthigten, ihre Würde faſt zu übertreiben, um nur genug zu behaupten, und wo nur die der Heiligkeit des Ortes ſchuldige Achtung das Lachen zurückhalte, weil ſie bei dem Angeklagten mehr Tollheit oder Unverſtand, als ſittliches Verderben vorausſetzten. Ein junger Menſch von 18 Jahren, Sergeant Major unter den Tirailleurs eines Regiments der alten (ehemals kaiſerlichen) Garde, entkommt wie durch ein Wunder der völligen Vernichtung ſeines Corps in der Schlacht bei Brienne. Da er ſich nun nicht wieder der Rettung durch ein ähnliches Wunder vertrauen wollte, kehrte er zu ſeinem Vater nach Paris zurück, der aber aller Wahrſcheinlichkeit nach ihn nicht hinreichend mit Geld verſorgte, um ſeinen verſchwenderiſchen Müßiggang zu nähren. Er ward es bald überdrüßig, der Sohn eines ſparſamen Bürgers zu ſeyn; er wollte in eine vornehmere und reichere Familie übergehen; aber was ſollte er ſich für Verwandte geben? Wenn man die Wahl hat, ſo müßte man ſehr einfältig ſeyn, wenn man nicht die allerbeſte treffen ſollte. Er gab der Familie Romanow den Vorzug, deren Oberhaupt niemand anders iſt, als Se. Majeſtät der Kaiſer Alexander. Es war gerade zu der Zeit,wo dieſer Monarch die Aufmerkſamkeit von ganz Europa auf ſich zog. Joſeph Wallerſtein (ſo hieß der Held der Gesſchichte und der Angeklagte in dem Prozeſſe) ſetzte ſich in den Kopf, der Neffe dieſes Monarchen zu werden. Er verſtand etwas deutſch, hatte den Feldzug in Rußland mitgemacht, beſaß Kühnheit und ſo hatte er alles, was man bedarf, um der Leichtgläubigkeit einfältiger Menſchen zu imponiren. Er verließ ſogleich die Straße Dü Four St.Honoré, den Aufenthaltsort ſeines zum gemeinen Volke gehörigen Vaters, und zog zu Galiſeau, einem Speiſewirth, auf den Boulevard du Mont Parnaſſe, unter dem Namen eines Barons oder Grafens von Knuburusky, Kandurusky, Padorosky, Oberſten unter den regulären Koſaken, Commandanten der Friedbergiſchen Jäger, Adjutanten des ruſſiſchen Kaiſers und des Fürſten von Schwarzenberg, denn er vermengte auf die ſeltſamſte Weiſe alle dieſe Eigenſchaften, welche er bald zuſammen, bald jede beſonders, anzunehmen pflegte; allein der Titel, auf den er mit Recht den meiſten Werth legte, war der eines Neffen des Kaiſers Alexander, und dieſen legte er auch niemals ab. Er machte in dieſem Hauſe die Bekanntſchaft mehrerer Perſonen, denen er ſeinen mächtigen Schutz verſprach: beſonders beehrte er mit ſeinem Wohlwollen einen jungen Studenten der Rechte, Namens Sullinger, der ſich ſehr glücklich ſchätzte, dem Fürſten ein Paar Piſtolen zu überreichen, welche ihm zu gefallen ſchienen und welche beſſer für einen Koſakenoberſten, als für einen angehenden Advokaten paßten. – Der neue ruſſiſche Fürſt fuhr in Paris in einem Miethwagen herum, den er zu bezahlen vergaß; auch ſchickte er die Tuchhändler, Hutmacher, die Zuckerbäcker und Conditors (denn Ihre Durchl. waren ſehr lecker) zu ſeinem Schatzmeiſter. Endlich bekam er Luſt, das Invalidenhaus zu beſuchen. Trotz ſeines einfachen Anzugs (er trug einen grünen Oberrock, der an den alten blauen Rock Friedrichs des Großen erinnerte), trotz ſeines nicht glänzenden Gefolges, welches in einem einzigen Bedienten beſtand (er liebte den Prunk nicht), wurde der Neffe Alexanders von dem Generalſtabe der Invaliden auf eine ſeinem Range und dem Namen ſeines Onkels angemeſſene Weiſe empfangen. Man zeigte ihm den Dom und alles was die Anſtalt Merkwürdiges hat; er ging in den Speiſeſaal, trank auf die Geſundheit der Tapfern, welche dies durch die Geſundheit des ruſſiſchen Kaiſers erwiederten; er nahm einen Orden aus ſeinem Knopfloche und überreichte ihn dem Offizier, der Bedenken trug ihn anzunehmen; allein der Prinz befahl und der Offizier gehorchte. Ein anderer Offizier nahm aus einer ſilbernen Doſe Tabak; er bat um eine Priſe und bemächtigte ſich der Doſe; ‚ich wünſchte ein Andenken von einem tapfern Manne zu beſitzen‘, ſagte er; ‚erlauben Sie mir dieſe ſilberne Doſe durch eine goldene zu erſetzen!‘ und proviſoriſch ſteckte er die Doſe des tapfern Mannes, der über ſo viel Grazioſität ganz erſtaunte, in die Taſche. Ich möchte gern, fuhr er fort, zu dem General ſich wendend, den achtungswürdigen Kriegern Beweiſe meiner Freigebigkeit hinterlaſſen. – Es iſt ihnen ausdrücklich verboten, Etwas anzunehmen. – Ueberdies wünſchte ich auch Einiges zu kaufen, ich habe aber nur ruſſiſches Papier, zeigen ſie mir doch einen Wechsler! – Ich kenne keinen, verſetzte der General, und bot ihm zugleich ſeine Börſe an! – Sie wurde angenommen, ob ſie gleich nicht mehr als 20 Goldstücke enthielt […]“. [2] Was sich hier zeigt, war der Umstand, den auch schon der Autor in der Einleitung des Gutshausrettenden-Buches beschrieben hatte, lediglich dort abhebend auf das Gebiet der Astrophysik. Boltanski (2017) nannte dieses Phänomen „Enrichissement“. [3] Anders besehen könnte man auch sagen: Hinreichend eng und relativ dauerhaft geknüpfte Netzwerke aus Menschen, Vorstellungen und Dingen besaßen eine Anziehungskraft, die sich dahingehend auswirkte, einen Kern um weiter als zugehörig Empfundenes anzureichern, nicht aus sich selbst heraus, aber aufgrund der Betrachtung und Handlung durch menschliche Akteur*innen aus den sozialen Umwelten. [4] Bei der Strafe des Prangers hatte diese „Anreicherung“ – im Charakter einer „Abreicherung“ – einen negativen Effekt auf Delinquenten, mußten sie doch durch die Straßen einer Stadt gehen, mit Schildern angetan, die sie als „böse“ etikettierten. [5] Diese Delinquenten wurden dann beworfen, mit Exkrementen, Schimpfworten, kleinen Steinen oder sie wurden bespuckt, herabgewürdigt und beschimpft; [6] soziale Umwelten reicherten den als Missetäter und Außenseiter Etikettieren weiter um negative Sanktionen an. Aber „Anreicherung“ konnte auch im positiven Sinne geschehen, zur Vervollständigung eines Stereotyps, wie sie im Fall des Joseph Wallerstein aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts im Bereich der Adelsgeschichte eindrücklich zu beobachten war. Denn nicht etwa allein der Avantürier, der Abenteurer, der Talmikavalier Wallerstein war für die Anreicherung als Adeliger verantwortlich, sondern es waren vor allem seine sozialen Umgebungen, die seine Initiierung als vermeintlicher (zumindest diskursiv angenommener) Elitenangehöriger vollendeten und vervollständigten. Dieses Phänomen gemeinsamer Erzeugung machte sich auch bei den mecklenburg-vorpommerschen „Gutshausrettern“ bemerkbar, wie nun im zweiten Begleitband zur Fernsehserie des Norddeutschen Rundfunks offenbar wird. [7] Der in dem Band unter anderem vorgestellte Gutshausretter Philipp Kaszay beispielsweise konnte durch die Anreicherung an Zuschauern durch die Fernsehserie seinen ehemaligen Adelssitz Kobrow nicht nur zu einem der beliebtesten Orte bei einem internationalen Graswurzel-Tourismusportal machen (Seite 39), sondern auch über eine internetbasierte Sammelspende eine Treppe ins Turmzimmer finanzieren, bekam für das Turmzimmer passende Stilmöbel geschenkt. [8] Seit genau einer Dekade renoviert er das ehemals der mecklenburgischen Uradelsfamilie v.Bülow gehörende Gutshaus Kobrow und sein Fleiß und seine Beharrlichkeit – gegen zahllose Widerstände – zahlte sich aus; mithilfe neuer Übernachtungsgäste konnte er einen einmaligen Ort erschaffen, der schon als verloren galt, für den sich niemand interessierte, da er Alltag geworden war, verlassener Alltag, zumindest für die Einheimischen, wenn auch dies nicht ganz stimmt, denn Vorausschauende hatten die Fenster herausgenommen, abgestellt im Haus; vielleicht, so dachten sie sich möglicherweise, käme später jemand, der diese Fenster noch gebrauchen könnte. Und tatsächlich konnte das Haus gerettet werden, kann als gerettet gelten, wurde ein einmaliger Ort wiedergeboren, wenngleich anders als er je früher gewesen war. Einfühlsam indes beschreibt der Verfasser des Begleitbuches zur Serie mehrerer solcher Geschichten, indes anders als im ersten Bande. Standen dort vor allem die Gutshausrettenden selbst im Fokus, widmet sich der Band jetzt auch den Handwerkenden, die im Hintergrund tätig waren. Dazu zählen Tischler und Zimmerleute, die auf alte Techniken und Materialien spezialisiert waren (Seite 42-49), Lehmputzer statt Zementbauer (Seite 118-125), Dendrochronologen, die mithilfe technischer Mittel das alter in Holzerzeugnissen bestimmen konnten, indem sie Wachstumsringe bestimmten und mit einer aus Erfahrungswerten gewonnenen Großskala abglichen, um so festzustellen, wann ein Baum gefällt wurde (Seite 88-97), aber auch ehemals am Leben durch eine Suchterkrankung Verzweifelnde, die durch die Mithilfe bei der freiwilligen Gutshausrenovierung wieder einen neuen Lebenssinn gefunden hatten (Seite 64-69). Alle diese Geschichten werden erzählt, mit durchaus meisterlicher Feder, schildernd eine Mischung aus Fiktivem und Faktivem, aus Daten und erdachten Stimmungen, Emotionen und Abschweifungen, auch ohne jede Quellenangabe. Dennoch ist das Werk auch wissenschaftlich als Quelle interessant, als Mischung und Beispiel aus und für „Public History“ von Nichthistoriker*innen, als „Geschichtsmarketing“, als emotionale Reise, als „Vergangenheitsbewirtschaftung“ [9] – und nicht zuletzt als Heldenreise. Denn der Verfasser besticht durch seine Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, die erzähltheoretisch der Heldenreise Campbells ähnlich, [10] ihre Grundform nachahmen: Ein Held zieht gegen anfängliches Widerstreben aus, ein Abenteuer zu erleben, zu dem er einen Ruf erhält (ein „altes Haus“ zieht ihn an). Er nimmt den Ruf schließlich an, muß zahlreiche „Schwellenhüter“ überstehen, scheitert oft, doch nicht letztlich, bevor er dann schließlich „das Böse“ besiegt, „das Gute“ schafft, das Haus „rettet“. Seine Aufgabe ist erfüllt. Es sind daher in der Fernsehserie wie in den zugehörigen Büchern auch Geschichten, die immer wieder vom kleinen Scheitern erzählen, doch nie so ganz. Man kann nur Mußmaßungen darüber anstellen, warum einige der früher in der Serie vorkommenden Protagonist*inne nun nicht mehr erwähnt werden, andere dagegen wieder auffällig oft in mehreren Kapiteln vorkommen. Sind die anderen endgültig „gescheitert“, haben aufgegeben? Vermutlich dürften dabei etliche Protagonist*nnen sein, die ihr Haus vorläufig und auf Jahrzehnte hinaus zunächst einmal grundlegend fertig renoviert haben, in den Alltagsbetrieb übergegangen sind, keinen Heldenreise mehr anbieten können. Denn solche Erzählungen – Narrative der Endgültigkeit – sind dann letztlich weder in der Serie noch im Buch mehr zu finden, jedenfalls nicht in Form endgültigen Scheiterns oder Erfolges. Endgültig gescheitert an ihren Plänen sind nur die Anderen, die Unbekannten, obschon das Werk von kleinen Momenten des Scheiterns – und Wiederaufraffens – voll ist. Doch das möchten Menschen hören; sie – jene Moment des Fastscheiterns – gehören zum Erzählen guter Geschichten dazu. So ist der Band daher eine ebenso vergnügliche wie anrührende Ansammlung von persönlichen Geschichten, deren Ende noch lange nicht auserzählt worden ist. Der Norddeutsche Rundfunk wird wohl auch daher in den kommenden Jahren wieder je eine Folge pro Kalenderjahr abdrehen, mit alten und neuen Protagonist*innen, die ihre ganz persönliche Heldenreise erleben, denen die Zuseher*innen als Unbeteiligte über die Schulter sehen können. [11] Aber Rezipierende der Serie können die Gutshausrettenden auch unterstützen, indem man ihre Ferienwohnungen mietet und sich selbst überzeugt vom Aufbauwillen und vom Durchhaltevermögen, alte Häuser zu retten und neu zu beleben. Nicht zuletzt sind daher auch die Feriengäste zu einem – nicht unwichtigen – Teil des die Häuser erhaltenden Netzwerkes aus Menschen, Vorstellungen, Filmen, Büchern, Diskursen und Dingen geworden. Auch sie kommen bisweilen in den Filmen und den beiden Büchern vor. Der zweite Band enthält viele Hintergrundgeschichten, die im Film nicht erzählt worden sind oder dort nur angerissen erscheinen, garniert mit stimmungsvollen Illustrationen und neuen Portraits, in bewährt schöner Haptik vom Hinstorffverlag in Rostock verlegt. Insgesamt liegt daher mit dem zweiten Band ein ebenso informatives wie unterhaltendes Supplement zur Serie vor, das eine vertiefende Lektüre mit reichhaltigen (noch weitgehend unbekannten) Seitenblicken dieser Reise in und mit den alten Herrenhäusern und „ihren“ Menschen ermöglicht. Es ist daher anzunehmen, daß das Konzept und Prinzip der Anreicherung nach dem Matthäus-Effekt [12] auch weiterhin stattfindet, denn allein die Beobachtung dieses Prozesses fasziniert hinreichend, sei es bei Menschen wie Wallerstein oder bei alten Häusern und ihren Menschen wie in Mecklenburg-Vorpommern. Diese Rezension stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., M.A., B.A., und erscheint zugleich in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung in gedruckter Form. Annotationen:
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