Westfälischer Adel in der Formierungszeit der Moderne
Eine Standesformation zwischen Beharrung und Wandel in der Zeit von 1800 und 1970
Nur in Hochverratsprozessen kam es für gewöhnlich vor, daß massenhaft
Adelige vor Gericht standen; eine Ausnahme, in der sich zudem
massenhaft weibliche Adelige vor der Barre verantworten mußten, fand
indes im späten 19. Jahrhundert in Burgsteinfurt in Westfalen statt;
dort war im Juli 1874 „vor dem Kreisgericht ein Prozeß verhandelt
worden, wie er in den Annalen der preußischen Justiz noch nicht
verzeichnet ist. Als Angeklagte standen vor den Schranken 35 Damen des
Adels, darunter diverse Gräfin[n]en, welche durch eine dem Bischof von
Münster überreichte und veröffentlichte Adresse das Kreisgericht
Münster beleidigt haben sollen.“ [1]
Was war konkret geschehen und wie kam es zu einer geradezu
antigouvernementalen Haltung jener Edelfrauen, die doch einem Stande
angehörten, dem man eine besondere Stützung von Staat und Kirche
zusprach? Dazu läßt sich eine entsprechende Gerichtsreportage
heranziehen, in der offenbar wurde, wie unangenehm den Damen dieser
öffentliche Prozeß war und wie sie versuchten, der Verantwortung für
ihr Tun auf die verschiedensten Weisen auszuweichen: „Schon lange vor
Beginn der Verhandlung war denn auch der allerdings nicht sehr große
Zuschauerraum bis aus den letzten Platz gefüllt. Pünktlich um 10 Uhr
erscheint der Gerichtshof. Bald darauf erscheinen 17 Angeklagte,
sämmtliche in männlicher Begleitung, und nehmen unmittelbar vis-a-vis
dem Gerichtshofe auf der Anklagebank, die jedoch jedenfalls heute
ausnahmsweise aus einigen Reihen gepolsterter Stühle gebildet wird,
Platz. [2]
Obgleich sehr viele der erschienenen Angeklagten den Titel
‚Fräulein‘ führen, so drängt sich doch Jedem die Meinung auf, daß die
übergroße Mehrheit der Angeklagten die Schuhe der Jugendlichkeit längst
ausgetreten. [3] Gegen 10 1/2 Uhr wird die Verhandlung mit der
Verlesung der Anklage eröffnet, laut welcher die Angeklagten einer
Verletzung des § 135 des Strafgesetzbuches, bei Gelegenheit einer am 3.
Februar d.[ieses] J.[ahres] stattgehabten Ueberreichung einer Adresse
an den Bischof, Dr. Brinkmann zu Münster, bezichtigt werden. [4] In der
Adresse, die anläßlich einer bei erwähntem Bischof vorgenommenen
gerichtlichen Pfändung von einigen fünfzig, zumeist in Münster
wohnhaften Damen erlassen, und von sehr vielen derselben in der Wohnung
des Bischofs diesem zunächst mündlich angetragen, alsdann schriftlich
mit mehr als fünfzig Unterschriften überreicht und endlich durch den
Druck veröffentlicht worden, war unter Anderm, von ‚verblendeten
Machthabern‘ die Rede, die gegen das Vermögen des Bischofs einen Raub
begangen und werden diese schließlich mit den ‚feilen Schergen und
Henkersknechten‘ verglichen, die ‚Jesum Christum ans Kreuz genagelt‘
etc.. Da nun das Kreisgericht zu Münster die Pfändung an dem Bischof
vorgenommen [hatte], so hat man dieserhalb gegen die Angeklagten wegen
Beleidigung den Strafantrag gestellt. Ursprünglich war die Anklage
gegen 55 Damen erhoben worden; bei 17 wurde dieselbe jedoch theils aus
Gründen von Unzurechnungsfähigkeit, theils wegen zu großer
Jugendlichkeit wieder fallen gelassen und gegen die Frau Prinzessin zu
Solms-Braunfels, gebor[e]ne Freiin von Landsberg, wurde mit Rücksicht
auf die Verordnung vom 12. November 1855 und auf den Art. 147 des
Gesetzes vom 3. Mai 13S2 ein besonderes Verfahren vorbehalten.
Die erste (erschienene) Angeklagte ist die Frau Gräfin Therese
Droste-Vischering v.Nesselrode-Reichenstein, gebor[e]n.[e]Gräfin
Asseburg. Die Angeklagte erklärt auf Befragen des Präsidenten, daß sie
‚ihrem‘ Bischofe blos[s] ihre Theilnahme vermittelst inkrimini[e]rter
Adresse ausdrücken wollte, aber keineswegs die Absicht gehabt habe, das
Kreisgericht zu Münster zu beleidigen. Auch habe sie die Adresse aus
eigenem Antriebe unterschrieben. Präs.[ident]: Haben Sie die Adresse
selbst verfaßt, oder ist sie Ihnen von anderer Seite zur Unterzeichnung
vorgelegt worden? – Angeklagte: Das ist meine Sache; ich werde darauf
nicht antworten. Präs.[ident]: Da Sie nicht die Absicht hatten, mit
dieser Adresse Jemanden zu beleidigen, so müssen Sie doch die darin
enthaltenen Ausdrücke, wie ‚verblendete Machthaber‘ etc., für passend
gehalten haben ? – Angekl.[agte]: Allerdings für sehr passend.
Präs.[ident]: Sie hielten auch die übrigen Ausdrücke, wie ‚feile
Schergen, Henkersknechte, die an dem Bischof einen Raub verübt‘
[hätten] u.s.w. für passend? – Angekl.[agte]: Wenn ich diese Worte
nicht für passend gehalten, so hätte ich sie nicht angewendet.
Präs.[ident]: Würden Sie diese Worte auch heute noch für passend
halten? – Angekl.[agte]: Gewiß, für sehr passend. Präs.[ident]: Wen
haben Sie sich unter den verblendeten Machthabern u.s.w. vorgestellt ?
– Angekl.[agte]: Ich gebe auf diese Frage nur die kurze Antwort, daß
Frauen es in ihrer schriftlichen Thätigkeit nicht so sehr genau nehmen.
[5] Im Uebrigen verweigere ich bezüglich der vorliegenden Frage jede
weitere Auskunft. Präs.[ident]: Ich habe allerdings kein Mittel, Sie zu
irgend einer Antwort zu zwingen. Da Sie jedoch erwähnte Ausdrücke für
passend gefunden haben, so mußten Sie doch auch wissen, auf wen sich
diese Titulationen bezogen. Sind außer Ihnen noch viele Damen bei
Gelegenheit der Adressen-Ueberreichung beim Bischof gewesen? –
Angekl.[agte]: Das weiß ich nicht mehr. Angeklagte Freifrau Karoline v.
Droste-Hülshoff kommt zur Vernehmung. Präs.[ident]: Als Sie in Ihrer
Wohnung mit mehreren anderen Damen die Adresse unterschrieben, wurden
Sie da von anderer Seite zur Unterschrift veranlaßt ? – Angekl.[agte]:
Ich verweigere darüber jede Auskunft. Präs.[ident]: Sie haben in der
Voruntersuchung gesagt, daß Sie unter den ‚verblendeten Machthabern‘
Leute verstehen, die die Gesetze gegen die Kirche gemacht [hätten]. –
Angekl.[agte]: Zu dieser Meinung bekenne ich mich auch heute.
Angeklagte Frau Gräfin Anna Galen. Auf Befragen des Präsidenten
erklärt dieselbe: Ich habe meinem Bischof blos[s] meine innige
Theilnahme etc. ausdrücken wollen. Von der Existenz des Kreisgerichts
zu Münster hatte ich keine Ahnung. (Gelächter im Publikum). Ich wußte
blos[s], daß der Bischof gepfändet worden [ist] und habe mich um die in
der Adresse enthaltenen Ausdrücke nicht im Mindesten gekümmert. [6]
Angeklagte Freifrau Adolphine von Böselager erklärt ebenfalls, auf
Detailfragen nicht antworten zu wollen. Im Uebrigen schließt sie sich
den Aussagen ihrer bereits vernommenen Mitangeklagten an. Angeklagte
Freifräulein Klara von Böselager-Heesen schließt sich ebenfalls den
Aussagen ihrer bereits vernommenen Mitangeklagten an, und bemerkt
alsdann aus Befragen des Präsidenten: Ob sie von dem Inhalte der
Adresse, ehe sie dieselbe unterschrieben, Kenntniß genommen, in
ziemlich erregtem Tone (eine Eigenschaft, die im Uebrigen den meisten
der Angeklagten anhaftet): Ich werde diese Frage nicht beantworten.
Präs.[ident]: Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die [7]
Klarstellung dieser Frage von [unleserlich] Wesentlichkeit für Sie ist.
Angekl.[agte]: Ich erkläre, daß ich [unleserlich] überhaupt keine
weitere Antwort geben werde. Angeklagte Freifräulein Bernhardine
v.Böselager-Heesen. Präs.[ident]: Wo wohnen sie? Angekl.[agte]: Hier.
Präs.[ident]: Ich sehe, daß Sie hier sind. Ich frage Sie jedoch nach
ihrer ständigen Wohnung? Angekl.[agte]: Ach so, ich wohne in Münster.
(Gelächter im Auditorium). Präs.[ident]: Ich muß die Herrschaften im
Auditorium zur Ruhe mahnen und werde Diejenigen, die nochmals laut
lachen sollten, als Ruhestörer verweisen lassen. Auch diese Angeklagte
verweigert beharrlich jede Auskunft, und als der Präsident trotzdem
noch einige Fragen an sie gerichtet [hatte], sekundi[e]rt ihr
[unleserlich] angeklagte Schwester, Freifräulein Klara v.Böselager, was
den Präsidenten zu der Bemerkung veranlaßt: ‚Sie werden jetzt nicht
vernommen, Fräulein Klara v.Böselager.
Angeklagte Frau Majorin Cäcilie Freifrau v.Ketteler antwortet auf
Befragen des Präsidenten in sehr erregtem Tone: ‚Ich bin in der
Voruntersuchung bereits 1 1/2 Stunden vernommen worden, und habe diesen
Aussagen nicht das Mindeste mehr hinzuzufügen.‘ Präs.[ident]: Ich kann
Sie allerdings zu keiner Antwort zwingen, ich muß Ihnen jedoch
bemerken, daß Ihre Aussagen bei der Voruntersuchung meinen beiden
Beisitzenden nicht bekannt sind und ich daher verpflichtet bin, die
Generalfragen zu wiederholen. Sie haben in der Voruntersuchung
geäußert: Es sei Ihnen vor Ihrer Unterzeichnung das Concept der Adresse
vorgelegt worden. Sie müssen mithin doch zum mindesten gewußt haben,
wen Sie des Raubes bezichtigen? – Angekl.[agte] (gelassener): Ich habe
an Niemanden, am allerwenigsten an eine Behörde gedacht. Präs.[ident]:
Hätten Sie dann auch eine derartige Adresse an den Bischof von Münster
gerichtet, wenn er faktisch von Dieben beraubt worden wäre? –
Angekl.[agte] (lächelnd): Dann allerdings nicht. Dies wäre ja nur
vorübergehend gewesen. Präs.[ident]: Bei den Worten: ‚verblendete
Machthaber, feile Schergen, Henkersknechte‘ u.s.w. müssen Sie doch
nothwendigerweise an noch jemand Andern als an den Bischof von Münster
gedacht haben? – Angekl.[agte]: Das weiß ich nicht mehr; die Sache ist
schon viel zu lang her. Auch wurde die ganze Adressenangelegenheit mit
solcher Eile betrieben, daß zu weiterer Ueberlegung keine Zeit blieb.
[8] Präs.[ident]: Die Sache ist wohl schon einige Monate her, jedoch
glaube ich, Ihre damalige Handlungsweise müßte Ihnen noch vollständig
im Gedächtniß sein? – Angekl.[agte]: Ich erkläre, daß ich weiterhin
nicht antworten werde. Ich habe nun genug geantwortet. Angeklagte
Gräfin Theresia Korff-Schmising erklärt auf Befragen des Präsidenten,
daß sie jede Antwort verweigern werde. Präs.[ident]: Ich kann Sie wohl
zu keiner Antwort zwingen; die Ursache Ihres Hiererscheinens ist mir
aber danach unbegreiflich. In der Voruntersuchung haben Sie sich
geäußert: ‚Die incrimini[e]rten Aeußerungen der Adresse haben sich
lediglich gegen den ‚Macher‘ der sogenannten Mai-Gesetze gerichtet.‘ –
Angekl.[agte]: Ich wiederhole, daß ich mich auf keinerlei Disputationen
einlasse.“ [9]
Den weiteren Verlauf der Verhandlung schilderte der Anonymus (1874) wie
folgt: „Die Antworten, welche die angeklagten Baroninnen und Gräfinnen
im weiter[e]n Verlaufe des Verhörs auf die Fragen des Präsidenten
gnädiglich ertheilen, [10 unterscheiden sich nur wenig von
denjenigen, welche ihre Genossinnen auf der Anklagebank sich hatten
herauspressen lassen. Die nächste Angeklagte ist die Freifrau Anna v.
Dalwigk-Lichtenfels. Präs.[ident]: Ihre Wohnung? – Angekl.[agte]: Das
ist ja gleichgiltig. – Präs.[ident]: War Ihnen bei Unterzeichnung der
Adresse an den Bischof von Münster bekannt, daß derselbe gepfändet
worden war? – Angekl.[agte]: Allerdings. Dies war ja der einzige Grund
unserer dem Bischof überreichten Adresse. [11] – Präs.[ident]: Dann
mußte Ihnen doch auch bekannt gewesen sein, daß diese Pfändung auf
Anordnung des Kreisgerichtes zu Münster oder einer anderen
Staatsbehörde geschehen war? – Angekl.[agte]: Darüber habe ich weder
damals noch sonst jemals nachgedacht. Präs.[ident]: Das ist
eigenthümlich. Sie müssen doch gewußt haben, daß eine Pfändung nur auf
Anordnung einer Behörde geschehen kann. – Angekl.[agte]: (erregt) Ihnen
mag das eigenthümlich vorkommen. Wer jedoch die Frauen-Naturen kennt
und weiß, daß Frauen sich um öffentliche Angelegenheiten im Allgemeinen
wenig kümmern, dem wird dies keineswegs eigenthümlich erscheinen. [12]
Ich wußte nicht einmal, daß in Münster ein Kreisgericht ist. Am
allerwenigsten wollte ich dasselbe oder sonst irgend eine Behörde
beleidigen. Bei den weiter[e]n Vernehmungen der Angeklagten
Freifräulein Julie v. Wendt-Papenhausen, Freifräulein Sophie v. Korf,
Freifräulein Elisabeth v.Droste Hülshoff, Freifrau Caroline v.Oer,
Freifrau Therese v.Twickel. Freifrau Antonie v.Oer, Freifräulein Maria
v. Droste-Senden, Frau Kreisgerichtsrath v.Druffel, Gräfin Johanna v.
Schmiesing-Kerssenbrock wiederholen sich in fast gleicher Weise
dieselben Disputationen zwischen den Angeklagten und dem Präsidenten. –
Zu erwähnen ist nur noch, daß sämmtliche Angeklagte bei ihrer
Vernehmung sitzend antworten, da ihnen dies vom Präsidenten gestattet
worden ist. [13]
Nach den Plaidoyers zieht sich der Gerichtshof zurück und fällt nach
etwa halbstündiger Berathung folgendes Erkenntniß: Die Angeklagte Frau
Gräfin Therese Droste-Vischering v.Nesselrode Reichenstein ist schuldig
und wird deßhalb mit einer Geldbuße von 200 Thalern, eventuell einer
sechswöchentlichen Haft bestraft. Alle übrigen Angeklagten, zu denen
außer den bereits erwähnten noch die nicht Erschienenen Freifrau
Hermine v. Landsberg, gebor[e]ne Gräfin v. Hatzfeldt, Ehegattin des
Kammerherrn Freih.[errn] v.Landsberg, Freifrau Droste Hülshoff, geborne
v.Elmendorf, Gräfin Sophie v.Meerfeldt, Gräfin Mathilde v.Meerfeldt,
Frau Lieutenant Perrine v.Droste-Hülshoff, Freifrau Adelheid
v.Beverfoerde Werries, Freifrau v.Fürstenberg Borbeck, Freifrau
v.Fürstenberg, geb.[orene] Gräfin v.Hoensbrock, Freifräulein Sophie
v.Devivere, Majorin Freifrau v.Beverfoerde, Freifrau Luise v.Ascheberg
und Freifräulein Therese v.Schade gehören, werden ebenfalls für
schuldig erachtet und mit einer Geldstrafe von 100 Thalern, eventuell
einer dreiwöchentlichen Haft bestraft und werden außerdem den
Angeklagten die Kosten des Prozeßverfahres auferlegt. Dagegen werden
die Angeklagten Frau Kreisgerichtsrath v.Kalckstein, Frau Kreisrichter
v.Ascheberg, Freifrau Antonie v.Rump und Freifräulein Anna v.Grävenitz
von Strafe und Kosten freigesprochen.“ [14]
Da die Verurteilten die Strafe nicht hinnehmen wollten, wandten sie
sich an das nächsthöhere Gericht. Hier ergab sich im November 1874
folgendes Urteil: „Das Appellationsgericht in Münſter verhandelte am
12. d[iese]s. [Monats] in zweiter Inſtanz über den Prozeß gegen
weſtfäliſche Edeldamen wegen Beleidigung des Kreisgerichts. Anläßlich
der Ueberreichung der bekannten Adreſſe an den Biſchof. Die Angeklagten
waren nicht erſchienen; dagegen waren zahlreiche Mitglieder des
weſtfäliſchen Adels und viele katholiſche Geiſtliche anweſend. Der
Gerichtshof beſtätigte das erſtinſtanzliche Erkenntniß, wonach die
Gräfin Neſſelrode-Reichenſtein zu 200 Th[ale]r[n], eventuell
ſechswöchiger Haft, die übrigen dreißig-Damen zu je 100 Th[a]l[e]r.
eventuell drei Wochen Haft, verurtheilt wurden.“ [15]
Daß sich Teile des gemischtkonfessionellen westfälischen Adel immer
wieder einmal auf die katholische Seite statt auf die des Staates
stellten, war indes kein vereinzeltes Phänomen, sondern durchaus
üblich. Dies weist nun eine neue Monographie nach, ein Längsschnitt
durch die Geschichte des westfälischen Adels zwischen der Zeit der
französischen Revolution und der etablierten bundesrepublikanischen
Zeit. Verfasser der Studie [16] – in der auch die vorgestellte
Damenadresse kontextualisiert wird (Seite 168) – ist der schon früher
öfters mit regionalen Adelsaufsätzen [17] ausgewiesene
Literaturwissenschaftler, Historiker und Archivar im Ruhestand Horst
Conrad (*1943). [18] Er schlägt einen großen Bogen über nahezu zwei
Jahrhunderte, in denen sowohl Kontinuität als auch Anpassung des
westfälischen Adels vorgestellt werden. Dabei reicht der Längsschnitt
vom Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation über den
Vormärz und die deutsche Revolution, den Kulturkampf, die Adelsarmut,
[19] die bürgerliche Konkurrenz, die Verdrängung von Landgütern durch
die Fabriken, das Kaiserreich, die Novemberrevolution, die Weimarer
Republik, den Nationalsozialismus und die Adelsgenossenschaft bis hin
zur nachkriegsdeutschen Zusammenbruchsgesellschaft.
Auch wenn der Forschungsstand leider nur lückenhaft verarbeitet worden
ist [20] und der Fokus vor allem auf klassischen Perspektiven
standespolitischer Aspekte liegt, [21] gelingt Conrad dennoch ein
konziser Durchmarsch durch die Adelsgeschichte in Westfalen, der sich
vor allem durch seine archivnahe und dokumentengestützte Recherche
auszeichnet. Die breite Verwendung von Archivmaterial macht die Studie
zu einer wichtigen Ergänzung des bisher Bekannten und diese Bedeutung
geht auch teils weit über den regionalen westfälischen Rahmen hinaus,
so im Beispiel des Adelsmarschalls Adolf zu Bentheim [22], der in der
Zeit von 1932 bis 1945 die Adelsgenossenschaft führte. Daher schreibt
Conrad im Falle der Adelsgenossenschaft auch nationale
Verbandsgeschichte, die die bisherigen Forschungen wirkungsvoll
ergänzt, vor allem um Einblicke in den „inner circle“, etwa aus
Briefwechseln des Adelsmarschalls (Seite 258-259) nach Kriegsende und
die Liminalitätsphase bis zur Gründung der nachkriegsdeutschen
Adelsverbände. Beim Adelsmarschall begegnet indes dann auch wieder jene
adelige Zurückhaltung, wie sie schon als Verteidigungsstrategie im
„impression management“ [23] der angeklagten Edelfrauen aufschien. Der
Adelsmarschall, befragt nach einer abgesetzten Ergebenheitsadresse an
Hitler nach dem Attentat vom 20. Juli 1944, erklärte nach dem Kriege
kurzerhand, er habe diese nicht verfaßt (sie erschien im Adelsblatt
gleichwohl in seinem Namen) und von nichts gewußt (Seite 300). Dabei
hatte der Adelsmarschall bewußt geholfen, diese
Nichtbetroffenheitsstrategie auszubauen, denn zum nahenden Ende des
zweiten Weltkrieges hatte er ebenso kurzerhand seine
Adelsgenossenschafts-Handakten am 10. April 1945 vernichtet (Seite 279,
Fußnote 5) und damit spätere Erinnerungslücken selbst vorbereitet.
Der Parforceritt durch die westfälische Adelsgeschichte ist jedoch
durchgehend angenehm zu lesen; es gibt ein ausgewogenes Verhältnis
zwischen den Erzählstrategien „breiter / extend“ und „weiter /
advanced“. Leser*innenunfreundlich hat Conrad indes das Nachweissystem
gestaltet. Hier wurden zwar immerhin fortlaufend – und nicht, wie bei
anderen Werken, pro Kapitel neu gezählt – Endnoten benützt, allerdings
dann so, daß man den Literaturnachweis der Endnote nicht vollständig
entnehmen kann, sondern noch an dritter Stelle – erst im
Literaturverzeichnis [24] – nachsehen muß, wie der Titel eigentlich
lautet. Geschuldet mag dieses Verfahren dem Umstand sein, daß es sich
bei dem Conradschen Werk ohnehin eher um eine Art
populärwissenschaftlich orientierte dokumentarische (zeitlich
aufsteigende) Chronik handelt und weniger um ein klassisches
geschichtswissenschaftliches Werk, was daran erkennbar ist, daß
methodische und theoretische Reflektionen nicht angestellt werden.
Dafür werden viele Thesen und Schlagworte der Forschung, die bestimmte
Zu- und Umstände durchaus pointiert und treffend zum Ausdruck bringen,
eingestreut, so die „Einhausung“ (Seite 276), die
„Zusammenbruchsgesellschaft“ (Seite 267), der „lange Weg nach Westen“
(Seite 277), die „Kompositionslehre der Geselligkeit“ (Seite 14) oder
die Jagd als „praeludium belli“ (Seite 57). Auch ist Conrad stark an
aristokratischer Verbands- und sozialer Organisationsgeschichte
interessiert, bringt hierzu – wie zum adeligen Billardclub (Seite 69),
zur Sonnabendgesellschaft (Seite 169, Fußnote 283) oder zum adeligen
Damenclub (Seite 64) – interessante Details und Anstöße für die weitere
Forschung. Bemerkenswert ist auch die Hervorhebung der Konflikte um
adelige Werte in der Weimarer Republik, so um Verweigerungen der
Mitgliedschaft in der Adelsgenossenschaft, weil eine Jungadelige (es
handelte sich nach Conrad um Clementine v.Amelunxen) wegen eines zu
„girlhaften Schnitts“ und als „moderner Mädchentyp“ (Seite Seite 228),
den sie entgegen dem konservativen Frauenideal des Adels verkörpere,
nicht aufnahmefähig sei. [25]
Als Besonderheit des Untersuchungsgegenstandes scheint indes immer
wieder das konfessionelle Moment auf, der Katholizismus als
Reibungsfläche mit den protestantischen Mehrheiten Preußens, in der
Duellfrage der Gebrüder v.Korff-Schmising-Kerssenbrock (Seite 141)
ebenso wie im Kulturkampf, zu dem hier eingangs ein treffendes Beispiel
gegeben werden konnte. Dieser Katholizismus ging sogar, wie am Beispiel
der angeklagten Adelsfrauen von Burgsteinfurt 1874 gesehen, soweit, daß
erhebliche soziale Konflikte in Kauf genommen wurden und man sich gegen
Obrigkeit und Staat wandte. Den verurteilten Adelsfrauen gelang es im
Übrigen auch nach dem zweitinstanzlichen Urteil nicht, das Verdikt über
sie abzuwenden; ein Jahr nach der erstinstanzlichen Verhandlung meldete
die Presse (1875): „Die gegen die vorinstanzlichen Erkenntnisse
eingebrachte Nichtigkeitsbeschwerde der Gräfin von Droste-Vischering
und der übrigen adeligen Damen in Westfalen, welche sich an der Adresse
an den Bischof von Münster betheiligt hatten und deßhalb zu Geld-
eventuell Gefängnißstrafen verurtheilt worden waren, wurde vom
Ober-Tribunal zu Berlin in der Sitzung vom 20 d.[ieses] M.[onats]
zurückgewiesen.“ [26] Theresia Gräfin Droste zu Vischering
v.Nesselrode-Reichenstein (*1815), geborene Komteß v.Bocholtz-Asseburg,
die im Winter in Münster und im Sommer auf Schloß Grimberg als Witwe
residierte, [27] starb jedenfalls 1893, [28] nahezu zwei Jahrzehnte
nach ihrer strafbewährten kollektiven Bischofsadresse, – als
Vorbestrafte.
Conrads Buch behandelt neben diesem Vorfall „das große Ganze“, die
Geschichte des westfälischen Adels in einer Zeiten- und Wertewende.
Deutlich wird daraus nicht zuletzt das große Re-Inventionspotential der
katholischen Aristokratie in Westfalen, weshalb es sich daher immer
noch lohnt, über Strategien des „Obenbleibens“ (Seite 7) einer
(freilich stets in Neubildung begriffenen und stark
binnendifferenzierten) Sozialformation nachzudenken. Conrad hat dazu
einen wertvollen und quellennah ebenso wie aktengestützten
wertvollen Beitrag geleistet. [29]
Dieser Aufsatz stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A.,
M.A., B.A., und erscheint zugleich in der Zeitschrift für deutsche
Adelsforschung in gedruckter Form.
Annotationen:
- [1] = Neues Fremden-Blatt (Wien), Ausgabe Nr. 200 vom 23. Juli 1874, Seite
1 (Meldung ohne Titel).
- [2] = Es ist dies ein interessantes Detail, hinter dem sich die öfters zu
beobachtende mildere Behandlung von Angehörigen des Adelsstandes vor
Gericht verbirgt; siehe dazu auch die Einrichtung von Grafen- oder
Honoratiorenzellen in Gefängnissen, nachgewiesen als „Grafenstüberl“
bei Reinhard Heydenreuter: Zur Rechtsstellung des landsässigen Adels
im Kurfürstentum Bayern zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert, in:
Walter Demel / Ferdinand Kramer (Hg.): Adel und Adelskultur in
Bayern, München 2008, Seite 51, sowie als „Honoratiorenzelle“
bei Nomen Nescio: Schöne Aussichten, in: Morgen-Post (Wien), Ausgabe
Nr. 187 vom 9. Juli 1871, Seite 3; ferner bei Nomen Nescio: Dr. v.
Palitschek im Landesgerichte, in: Neuigkeits-Welt-Blatt (Wien),
Ausgabe Nr. 233 vom 11. Oktober 1894, Seite 4; auch bei Nomen Nescio:
Ein Besuch sämmtlicher Gefangenenhausräume des Wiener
Landesgerichtes, in: Illustri[e]rtes Wiener Extrablatt (Wien),
Ausgabe Nr. 294 vom 25. October 1902, Seite 4.
- [3] = Hier obliegt der Verfasser der Reportage indes einem Mißverständnis;
die Anrede „Fräulein“ war unter anderem zeitweise Titel von
Edelfrauen, unabhängig von ihrem Alter. Siehe dazu E. Max
Hegenbarth: Handbuch des Hotelbetriebs. Praktisches Hilfsbuch für
Hoteliers, Restaurateure, Pensionsinhaber, und deren gesammtes
[sic!] Betriebsperonal, Wien / Pest / Leipzig: A. Hartleben 1887,
Seite 71; dort heißt es: „Die Anrede ‚Fräulein‘ kam früher
nur den unverheiratheten Töchtern des Adels zu (Bürger- und
Bauernmädchen wurden Jungfer und Mamsell genannt); jetzt werden alle
unverheiratheten Töchter mit ‚Fräulein‘ angeredet, dem sogar
oftmals der Zusatz ‚Gnädiges‘ (Fräulein) gemacht wird.
Eigentlich kommt dieses Anredeprädicat nur Adeligen zu, doch hat es
sich auch in anderen Gesellschaftskreisen so eingebürgert, dass
dessen Anwendung eine ziemlich allgemeine geworden ist.“
- [4] =
Es handelte sich um Johannes Bernhard Brinkmann (1813-1889). Zu ihm
notierte ein Anonymus (1889) anläßlich seines Ablebens: „Die Zeit
der stillen Wirksamkeit war mit der Weihe Johann Bernhards zum
Bischof von Münster zu Ende; es begann jetzt eine Zeit des Leidens,
wie sie der unglückselige Culturkampf über die preußischen
Bischöfe verhängte. Für Bischof Johann Bernhard war das Maß des
Leidens besonders reichlich bestimmt. In seinem herrlichen
Fasten-Hirtenschreiben vom Jahre 1874 trat er mit apostolischem
Freimuthe den Irrthümern der Kirchenfeinde entgegen und ermahnte
seine Diöcesanen, den Schwur, den sie bei ihrer ersten heiligen
Kommunion erneut [hatten], zu halten, koste es, was es wolle, und
eher Gut und Blut hinzugeben, als der Kirche die Treue zu brechen.
Und wie er seinerseits fest entschlossen, in Allem mit gutem
Beispiele voranzugehen und seinen Bischofseid, ‚daß er seiner
Diöcese ein Hirt und kein Miethling sein wolle‘, unverbrüchlich
zu halten. Die Worte des Hirtenschreibens fanden einen mächtigen
Wiederhall in den Herzen der Münsteraner. Als im Beginne der
Ausführung der Mai-Gesetze auch Bischof Johann Bernhard zu einer
größeren Geldstrafe verurtheilt war und wegen seiner Weigerung, die
Strafe zu bezahlen, gepfändet werden sollte, da fand sich in der
Provinzialhauptstadt Münster kein Mensch, der den Transport der
gepfändeten Habe des Bischofs nach dem Verkaufslocale übernehmen
wollte; selbst von den Dienstmännern verstanden sich nur zwei mit
Widerstreben zu der Arbeit, ließen aber alsbald davon ab, als ihre
eigenen Frauen wider sie auftraten. Das Gericht entschied, von dem
Verkaufe abzustehen, und die Schüler des Gymnasiums, welche gerade
entlassen wurden, trugen im Triumphe die Sachen, welche schon vor dem
Hause standen, wieder hinein. An diese zu Nichts gewordene
Verkaufsaffaire schloß sich eine ganze Reihe von Deputationen und
Adressen aus der ganzen Diöcese, welche ihre Theilnahme über die
traurigen kirchlichen Vorkommnisse, aber zugleich ihren festen Willen
aussprachen, unter allen Umständen unerschütterlich treu zu ihrem
Bischof zu stehen. Anfangs 1875 war Bischof Johann Bernhard wegen
eines neuen Verstoßes gegen die Mai-Gesetze zu einer Geldstrafe, im
Nichtzahlungsfalle zu vierzigtägiger Gefängnißstrafe verurtheilt
worden. Dem ‚Executor‘ wurde erklärt, daß sämmtliche
vorhandenen Gegenstände entweder fremdes Eigenthum oder als
unentbehrlich anerkannt seien. Demgemäß erfolgte am 27. Februar die
Aufforderung des Gerichtes, sich binnen acht Tagen zur Verbüßung
einer vierzigtägigen Gefängnißstrafe nach Warendorf zu begeben. Am
18. März in der Frühe sollte die Verhaftung stattfinden. Die vor
dem Palais harrende Menge empfing ihren Oberhirten mit brausenden
endlosen Hochrufen und dann wurde das Lied angestimmt: ‚Fest soll
mein Taufbund immer stehen‘, eine herrliche Antwort auf die
Ermahnungen des letzten Hirtenschreibens. Große Aufregung hatte sich
der Bevölkerung bemächtigt; zahlreiche Häuser gaben durch ihre
schwarzumflorten Flaggen Kunde von der Trauer des Tages.“ Zitiert
nach Nomen Nescio: Bischof Brinkmann gestorben, in: Das Vaterland
(Wien), Ausgabe Nr. 103 vom 15. April 1889, Seite 2.
- [5] = Der bemerkenswerte Strategiezug in dieser Selbstverteidigung lief
darauf hinaus, ein negatives „Impression Management“ zu
etablieren, um die mögliche Strafe und Schuld kleiner erscheinen zu
lassen. Andererseits war sie sich ihrer Wortwahl sehr bewußt, nahm
es mithin in der Formulierung sehr „genau“.
- [6] =
Auch hier wurde die Strategie angewendet, daß die Gräfin ein
Schriftstück unterzeichnet habe, ohne eigentlich zu wissen, was sie
damit unterzeichnet hatte.
- [7] =
Im Original wohl versehentlich „dieß“, hier jedoch in „die“
berichtigt.
- [8] =
Hier scheint ebenso wiederholt das bemerkenswerte
Entschuldigungs-Motiv auf, man wisse eigentlich gar nicht, was man
dort genau unterzeichnet und getan habe.
- [9] =
Nomen Nescio: Fünfunddreißig hochadelige Katholikinnen vor Gericht,
in: Tages-Post (Linz), Ausgabe Nr. 167 vom 24. Juli 1874, Seite 3.
- [10] =
Hier wird ein deutlich absteigender Statusunterschied in einer
strafikatorisch gedachten Humandifferenzierung deutlich.
- [11] =
Als einer der wenigen adeligen Damen wußte also zumindest diese
Angeklagte sehr wohl von dem, was sie dort eigentlich unterzeichnet
hatte.
- [12] =
Diese Verteidigungsstrategie berief sich auf das Stereotyp der
Geschlechtscharaktere ebenso wie auf adelige Bildungsfeindlichkeit
und der weiblichen Tätigkeitssphäre des Hauses, während „der
Mann“ im 19. Jahrhundert in Beruf und Öffentlichkeit stehen
sollte. Dazu siehe a) Karin Hausen: Die Polarisierung der
„Geschlechtscharaktere”, in: Werner Conze (Hg.): Sozialgeschichte
der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, Seite 363-393
sowie b) Franziska Hirschmann. Formen adliger Existenz im 18.
Jahrhundert. Adel zwischen Kritik und Reformen, München 2009, Seite
36. Derlei „soziale Tatsachen“ im Sinne Durkheims, auf die die
Individuen einer Gesellschaft keinen Einfluß hätten, sollte in
diesem Falle die mögliche persönliche Verantwortung der Angeklagten
entlasten. Anna Freifrau v. Dalwigk-Lichtenfels argumentierte daher
hier mit ihrer eigenen Unwissenheit und der Begrenztheit ihres
praktischen Alltagswissens.
- [13] =
Auch dieser Umstand war – in diesem Falle – ein weiteres adeliges
Privileg.
- [14] =
Nomen Nescio: Fünfunddreißig hochadelige Katholikinnen vor Gericht,
in: Tages-Post (Linz), Ausgabe Nr. 168 vom 25. Juli 1874, Seite 3.
- [15] =
Nomen Nescio: Der Prozeß adeliger Westphälinnen, in: Innsbrucker
Tageblatt (Innsbruck), Ausgabe Nr. 262 vom 16. November 1874, Seite
3.
- [16] =
Horst Conrad: Der lange Abschied von der Macht. Adel in Westfalen
1800-1970, erschienen im Ardey-Verlag in 1. Auflage in Münster im
Jahre 2021, 320 Seiten, versehen mit einigen schwarz-weißen
Illustrationen, Maße: 19 cm x 12,5 cm (Band 3 der Schriftenreihe
„Regionalgeschichte kompakt“), erhältlich im Buchhandel zum
Preis von 17,90 Euro; Klappenbroschur, ISBN: 978-3-87023-463-8.
- [17] = Dazu siehe nur exemplarisch a) Horst Conrad: Die Kette. Eine
Standesvereinigung des Adels auf dem Wiener Kongreß, Münster:
Verlag der Vereinigten Westfälischen Adelsarchive 1979, 66 Seiten
(Band 3 der Schriftenreihe „Sonderveröffentlichung der Vereinigten
Westfälischen Adelsarchive), b) Horst Conrad: Hut ab. Alltag eines
preußischen Parlamentariers. Dokumente aus dem Nachlaß des Florens
Heinrich v.Bockum-Dolffs (1802-1899). Eine Ausstellung des
Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Westfälisches Archivamt
Münster, in Zusammenarbeit mit der Kommission für Geschichte des
Parlamentarismus und der politischen Parteien in Bonn, Münster:
Westfälisches Archivamt im Landschaftsverband Westfalen-Lippe, 28
Seiten; c) Horst Conrad: Die Besitzer der Herrschaft Canstein und ihr
Bergbau. Ein Beitrag zur Bergbaugeschichte im Herzogtum Westfalen im
Alten Reich, in: Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens
(Hg.): Westfälische Zeitschrift, Band 161, Paderborn: Bonifatius
2011, Seite 219-252; d) Horst Conrad: Ein preussischer Offizier im
Revolutionskrieg 1792-1795. Das Feldzugstagebuch des Franz von
Bockum-Dolffs, in: Enthalten in: LWL-Institut für Westfälische
Regionalgeschichte (Hg.): Westfälische Forschungen, Band 68,
Münster: Aschendorff 2018, Seite 261-288.
- [18] =
Seine literaturwissenschaftliche Arbeit „Die literarische Angst.
Das Schreckliche in Schauerromantik und Detektivgeschichte“
erschien in Düsseldorf im Bertelsmann-Universitätsverlag im Jahre
1974, umfaßte 230 Seiten und stellte seine 1973 abgeschlossene
Dissertation an der Universität Bochum an der Abteilung für
Philologie dar; Conrad wandte sich danach der Geschichts- und
Archivwissenschaft zu.
- [19] =
Besonders eindrücklich geschildert auf den Seiten 223-226.
- [20] =
Nicht benützt hat Conrad laut Ausweis seines Literaturverzeichnisses
(Seite 303-316) bedauerlicherweise: Behr, Hans-Joachim: Auf Recht und
Billigkeit muß man nicht rechnen, in: Werner Frese (Hg.): Zwischen
Revolution und Reform. Der westfälische Adel um 1800, Münster 2005,
Seite 45-84; Behr, Hans-Joachim: Ritterschaftlicher Adel und
öffentliches Finanzwesen in Westfalen um 1800 –Landstände,
Landtage, Steuern, in: Jürgen Kloosterhuis (Hg.): Krise, Reformen
und Finanzen –Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806,
Berlin 2008, Seite 193-211; Bernhardt, Kirsten: Adelige
Armenhausstiftungen im Münsterland. Wandlungen und
Auflösungstendenzen nach 1850, in: Inga Brandes / Katrin
Marx-Jaskulski (Hg.): Armenfürsorge und Wohltätigkeit. Ländliche
Gesellschaften in Europa 1850-1930, Frankfurt am Main 2008, Seite
201-222; Bernhardt, Kirsten: Armenhäuser – Die Stiftungen des
münsterländischen Adels (16.-20.Jahrhundert), Münster 2012, 454
Seiten [Band 119 der Reihe „Beiträge zur Volkskultur in
Nordwestdeutschland“; zugleich Dissertation Universität Münster
2010 unter dem Titel „Die Armenhausstiftungen des Münsterländischen
Adels“]; Bernhardt, Kirsten: Die Armenhausstiftungen des
münsterländischen Adels. Ein Überblick vom 16. bis 20.
Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen, Band 66, Münster 2016,
Seite 415-432; Bockhorst, Wolfgang: Westfälische Adelige in Paris
zwischen 1789 und 1815, in: Werner Frese (Hg.): Zwischen Revolution
und Reform. Der westfälische Adel um 1800, Münster 2005, Seite
85-111; Böth, Gitta: Johann Ignaz Franz Maria von Landsberg-Velen
(1788-1863). Ein adeliger Unternehmer im bürgerlichen Zeitalter,
Münster 2009, 307 Seiten [Band 112 der Reihe „Beiträge zur
Volkskultur in Nordwestdeutschland“]; Brockmann, Andrea: Hofdame,
Hausfrau, Klerikerin – Vorgezeichnete Lebenswege der Frauen im
münsterländischen Adel, in: Kreisheimatverein Beckum-Warendorf
(Hg.): Münsterland – Jahrbuch des Kreises Warendorf, Band 52
(2003), Warendorf 2002, Seite 199-205; Burghardt, Franz Josef:
Bürgertum und Adel 1500-1900 – Anmerkungen zur Rolle der führenden
Beamten im Herzogtum Berg, in: Düsseldorfer Familienkunde, Band 48,
Düsseldorf 2012, Ausgabe Nr. 2, Seite 33-36; Christiansmeyer,
Gregor: Der Einfluss des katholischen Adels auf die Einrichtung der
Feldausgabe der Stimmen der Zeit im Ersten Weltkrieg, in: Verein für
Geschichte und Altertumskunde Westfalens (Hg.): Westfälische
Zeitschrift – Zeitschrift für vaterländische Geschichte und
Altertumskunde, Band 167, Paderborn 2017, Seite 127-132; Conrad,
Horst: Der Adel im Herzogtum Westfalen, in: Ingrid Reißland (Hg.):
Vom Kurkölnischen Krummstab über den Hessischen Löwen zum
Preußischen Adler, Arnsberg 2003, Seite 27-39; Haas, Reimund:
„Dem bösen Willen des Domkapitels die Schuld beimesset“ – Zum
Ende der Adelsdominanz in den westfälischen Domkapiteln 1803-1823,
in: Werner Frese (Hg.): Zwischen Revolution und Reform. Der
westfälische Adel um 1800, Münster 2005, Seite 25-44; Hömberg,
Albert K.: Geschichtliche Nachrichten über Adelssitze und
Rittergüter im Herzogtum Westfalen und ihre Besitzer – Register,
Münster 2013, 330 Seiten [Band 1 der Reihe „Materialien der
Historischen Kommission für Westfalen“]; Innemann, Volker: Nur für
adelige Grundbesitzer. Bevor Tecklenburg preußisch wurde, gab es
hier einen eigenen Landtag , in: Kreis Steinfurt / Kreisheimatbund
Steinfurt (Hg.): Unser Kreis – Jahrbuch für den Kreis Steinfurt,
Band 24, Steinfurt 2011, Seite 50-54; Kampfmann, Philipp: Soziale
Verortung und religiöser Hintergrund des westfälischen Adels,
München 2000, 16 Seiten [Seminararbeit Universität Bonn 2000];
Kuhn, Anja: Vom stillen Teilhaber zum Chemieunternehmer. Johann Ignaz
Franz Reichsfreiherr von Landsberg-Velen und die Chemische Fabrik zu
Wocklum 1822-1860, in: Manfred Rasch (Hg.): Adel als Unternehmer im
bürgerlichen Zeitalter, Münster 2006, Seite 157-176; Löer, Ulrich:
Über die Säkularisation hinaus. Westfälischer Adel und preußischer
König im Wettstreit um den Neubeginn des Stifts St. Walburgis zu
Soest (1812-1871), in: Verein für Geschichte und Altertumskunde
Westfalens (Hg.): Westfälische Zeitschrift – Zeitschrift für
vaterländische Geschichte und Altertumskunde, Band 165, Paderborn
2015, Seite 311-334; Maresch, Hans / Maresch, Doris:
Nordrhein-Westfalens Schlösser, Burgen und Herrenhäuser, Husum
2014, 319 Seiten; Oer, Rudolfine Freiin v.: 200 Jahre Adeliger
Damenclub zu Münster [Teil 1von 2], in: Deutsches Adelsblatt –
Mitteilungsblatt der Vereinigung der Deutschen Adelsverbände,
Jahrgang 39, Kirchbrak 2000, Ausgabe Nr. 2 vom 15. Februar 2000,
Seite 64-67 sowie Teil 2 von 2, in: Ibidem, Ausgabe Nr. 4 vom 15.
April 2000, Seite 92-96; Otte, Ralf: Die „abenteuerlichen“
Heiraten zwischen Adligen und ihren Haushälterinnen im westfälischen
Gebiet vom 15. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, in: Verein für
Geschichte an der Universität Paderborn (Hg.): Paderborner
historische Mitteilungen, Band 27, Paderborn 2014, Seite 4-33;
Pardun, Heinz: Die Revolutionsjahre 1848/1849 in Westfalen – Sturm
auf die Schlösser des Adels im Sauerland; Straßenkämpfe am
Himmelfahrtstag 1849 in Iserlohn, in: Heimatblätter, Band 21, 2000,
Seite 45-48; Raasch, Markus: Die Dialektik der Moderne. Der
westfälische Adel und die Anfänge der Zentrumspartei, in: Verein
für Geschichte und Altertumskunde Westfalens (Hg.): Westfälische
Zeitschrift – Zeitschrift für vaterländische Geschichte und
Altertumskunde, Band 165, Paderborn 2015, Seite 93-115; Rasch,
Manfred: Kohle, Stahl, Chemie, Dienstleistung – Westfälische
Adlige als Unternehmer im 18. und 19. Jahrhundert, in: Maarten van
Driel / Bernhard Pohl / Bernd Walter (Hg.): Adel verbindet.
Elitenbildung und Standeskultur in Nordwestdeutschland und den
Niederlanden vom 15. bis 20. Jahrhundert, Paderborn / München / Wien
/ Zürich 2010, Seite 179-216; Reif, Heinz: Der katholische Adel
Westfalens und die Spaltung des Adelskonservatismus in Preußen
während des 19. Jahrhunderts, in Heinz Reif: Adel, Aristokratie,
Elite – Sozialgeschichte von Oben, Berlin 2016, Seite 57-75;
Solterbeck, Sven: Blaues Blut und rote Zahlen – Westfälischer Adel
im Konkurs 1700-1815, Münster 2018, 455 Seiten [Band 653 der Reihe
„Internationale Hochschulschriften“; zugleich Dissertation
Universität Münster 2018]. Entnommen wurden diese Nachweise aus
Claus Heinrich Bill: Neue Adels-Bibliographie. Monographien,
Sammelbände und Aufsätze des Erscheinungszeitraums Jänner 2000 bis
Juni 2021 zum Adel in den deutschsprachigen Ländern, Sonderburg:
Selbstverlag des Instituts Deutsche Adelsforschung 2021, Seite
512-533. Von älterer Literatur wurde nicht ausgewertet bei Conrad
ferner: Klocke, Friedrich v.: Das Land Westfalen und sein Adel, in:
Deutsche Adelsblatt Nr. 33 vom 1. Dezember 1925, Seite 790-791; Nomen
Nescio: Zur Westfalen-Nummer, in: Deutsches Adelsblatt Nr.5 vom 11.
Februar 1926, Seite 91; Nomen Nescio (das ist Wichmann, Wilhelm): Der
rheinisch-westphälische Adel und die preußische Staatsverfassung
vom 31.Januar 1850, Münster 1865, 28 Seiten; Reif, Heinz: Der
katholische Adel Westfalens und die Spaltung des Adelskonservatismus
in Preußen während des 19.Jahrhunderts, in: Westfalen und Preußen.
Integration und Regionalismus, Paderborn 1991, Seite 107-124; Reif,
Heinz: Väterliche Gewalt und kindliche Narrheit. Familienkonflikte
im katholischen Adel Westfalens vor der Französischen Revolution,
in: Reif, Heinz (Hg.): Die Familie in der Geschichte, Göttingen
1982, Seite 83-113 (Kleine Vandenhoeck-Reihe Nr.1474); Wallthor,
Alfred Hartlieb v.: Konservativer Adel in den Rheinlanden und
Westfalen nach den Befreiungskriegen, in: Duewell, Kurt / Koellmann,
Wolfgang (Hg.): Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter. Beiträge
zur Landesgeschichte in vier Bänden, Band 1, Wuppertal 1983, Seite
19-26; Weitz, Reinhold K.: Der niederrheinische und westfälische
Adel in der Auseinandersetzung um Verfassung und Staat, in: Duewell,
Kurt / Koellmann, Wolfgang (Hg.): Rheinland-Westfalen im
Industriezeitalter. Beiträge zur Landesgeschichte in vier Bänden,
Band 1, Wuppertal 1983, Seite 27-38.
- [21] =
Herrenhäuser, auch andere Artefakte, spielen in der Studie keine
bedeutende Rolle, ebenso wenig Gender- oder Disabilityfragen.
Immerhin erwähnt wird eine Zusammenstellung scheinbar typischer
immaterieller wie materieller Merkmale des vormärzlichen
Adelsstereotyps 1831: „Hunde, Pferde, Tabakspfeifen, [...]
Vornehmtun“ (Seite 45). Devianzbereiche werden jedoch
beispielsweise immerhin mit Fragen der Adelsarmut durchaus
angesprochen und damit auch ein Anschluß an die jüngere – wenn
auch nicht von Conrad konsultierte – Forschung gesucht. Siehe dazu
a) Singer, Johanna / Klimek, Jacek: Armer Adel 1700 bis 1900, in:
Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der
Wissenschaften zu Göttingen, Neue Folge (Stadt und Hof), Jahrgang
III., Kiel 2014, Seite 85-95, b) Begass, Chelion / Singer, Johanna:
Arme Frauen im Adel – Neue Perspektiven sozialer Ungleichheit im
Preußen des 19. Jahrhunderts, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.):
Archiv für Sozialgeschichte, Band 54, Bonn 2014, Seite 55-78, c)
Frie, Ewald: Armer Adel in nachständischer Gesellschaft, in: Ronald
Gregor Asch (Hg.): Adel in Südwestdeutschland und Böhmen 1450-1850,
Stuttgart 2013, Seite 207-221, d) Frie, Ewald: Oben bleiben? Armer
preußischer Adel im 19. Jahrhundert, in: Gabriele Berta Clemens /
Malte König / Marco Meriggi (Hg.): Hochkultur als
Herrschaftselement. Italienischer und deutscher Adel im langen 19.
Jahrhundert, Berlin 2011, Seite 327-340, etc.
- [22] =
Zuerst Prinz, dann seit dem Tode seines Vaters 1909 Fürst, seit 1918
aber wieder Prinz infolge der Weimarer Reichsverfassung.
- [23] =
Dazu siehe den Abschnitt zur Selbstdarstellung (das heißt zum
Impression-Management) bei Hans-Werner Bierhoff / Dieter Frey (Hg.):
Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie,
Göttingen 2006, Seite 49-56.
- [24] = Dort ist im Übrigen eine falsche alphabetische Sortierung auffällig,
weil eine Literaturposition (Engelberg) unter dem falschen Buchstaben
„B“ einsortiert worden ist; siehe dazu bei Conrad Seite 303.
- [25] =
Dabei gab es durchaus Ansätze zur Integration des „modernen
Mädchentyps“ in den Adel; siehe dazu den Aufsatz von Erna Gräfin
Thun: Der liebe Kerl. Ein modernen Mädchentyp, in: Neues Wiener
Journal (Wien), Ausgabe Nr. 13768 vom 20. März 1932, Seite 16, wo es
hieß: „Unter den verschiedenen Mädchentypen, die uns begegnen,
ist der ‚liebe Kerl‘ wohl zweifellos eine der ansprechendsten. Er
ist an keine Nation gebunden und kann natürlich ebensogut über die
Place de la Concorde trippeln als das Lützow-Ufer entlang
schlendern, er kann im Hydepark galoppieren oder gemächlichen
Schrittes durch die verträumten Gassen Trients wandeln, er kann eine
glutäugige, kleine Römerin sein oder ein hellblondes schlesisches
Komtesserl, der richtige ‚liebe Kerl‘ ist unter jedem
Breite[n]grad sympathisch! Und erst bei uns in Wien! Heutzutage wird
viel – und leider nicht ganz mit Unrecht – über die Jugend
geklagt, über ihre zu große Selbständigkeit, ihren Mangel an
Pietät, ihren Eigensinn und letzten Endes wohl am allermeisten über
jene Eigenschaft, die man in Deutschland so lustig mit
‚Schnoddrigkeit‘ bezeichnet. Zugegeben – aber man darf auch
nicht völlig an den Philosophen vergessen, der da ausrief: ‚Cher
contemporains, noubliez pas, ga‘on a toujours les qualités de ses
défauts.‘ Und da Fehler die tückische Eigenart haben, immer eher
bemerkt zu werden als die strahlendsten Tugenden, so bleibt wohl
nichts übrig, als die Kompensation dessen zu suchen, was uns
mißfällt, wir werden bestimmt auf unsere Rechnung kommen! Echt
österreichisch gesprochen, bedeutet ‚lieber Kerl‘ ein
frohgemutes, sonniges Geschöpf, das sein Herzerl auf dem rechten
Fleck trägt, das sich couragiert mit dem nicht immer so
pläsierlichen Leben (wir schreiben 1932!) abfindet, das an dem
tapferen Grundsatz festhält: die Hindernisse sind da, um genommen zu
werden und die Feste müssen gefeiert werden, wie sie eben fallen.
Letzteres bezieht sich natürlich nicht nur auf reine
Karnevalfreuden. Zum Hauptmerkmal des ‚lieben Kerls‘ gehört
seine Anpassungsfähigkeit und seine Hilfsbereitschaft. Es ist
rührend zu sehen, wie die jungen Mädchen unserer Tage der sozialen
Not gegenüberstehen, wie sie die freie Zeit, die ihnen der Beruf
oder das Studium läßt, mit karitativer Tätigkeit ausfüllen, wie
sie ihre Kleider nähen, Handschuhe zuschneiden, Pirouetten auf dem
Eise machen, Pingpongturniere gewinnen, Kochkurse absolvieren und
trotz alledem noch die Zeit finden, sich in der Turnstunde auf den
Kopf zu stellen und dann beim apres souper so ganz nebenbei den ihres
Partners zu verdrehen. Denn Kopf ist Kopf, und während man den
eigenen ausruht, müssen die anderen daran glauben! So jung er noch
ist, der richtige ‚liebe Kerl‘ hat etwas Mütterliches, ob es
sich nun um kleine Geschwister handelt, die er mit erzieht, oder um
bummelwitzige Vettern, denen er wohlverdiente Strafpredigten hält.
Der ‚liebe Kerl‘ hat eine gute Hand für Blumen und ein feines
Ohr für die atonale Symphonie unserer unruhigen Tage. Er weiß
genau, daß seiner Jugend so manches abgeht, das nicht mehr
nachgeholt werden kann, und daß Schlagworte keinen Ersatz für
fehlende Fundamente bilden können ... Aber er läßt sich deshalb
nicht entmutigen und blickt tapfer in die ungewisse Ferne. Zum
Grübeln und zur Medisance bleibt ihm wenig Zeit, darum zieht er
relativ unbeschwert durchs Leben und der Erfolg unserer Sportler in
Lake Placid interessiert ihn weitaus mehr als die spannendste
Intrige. Zur Kunst und zum Theater unterhält er dafür die innigsten
Beziehungen. Seine ehrliche, junge Begeisterung triumphiert über die
hart gesottensten Skeptiker, und wenn man ihn nur ließe, den ‚lieben
Kerl‘, so würde er Paul Hartmann und Else Wohlgemuth ebenso die
Pferde ausspannen helfen, wie es die Jugend vergangener Dezennien für
die Wolter und den Kunz getan hat. Für ‚halbe Sachen‘ oder
Fadheiten ist er nicht zu haben. ‚Weißt du, entweder will ich
etwas lernen, etwas arbeiten – oder ich will unterhalten‘,
vertraute mir unlängst eine resolute Sechzehnjährige an – ‚aber
nur so herumsitzen und den ‚Großen‘ zuhören, wie sie jammern,
das freut mich einmal absolut nicht – da mache ich lieber einen
Buchbinderkurs oder die Chauffeurprüfung.‘ Und auf meinen
bescheidenen Einwand, daß sie zur Entgegennahme eines Führerscheines
denn doch noch ein bisserl zu jung sei, rief sie ungehalten: ‚Pah,
bei Frauen vergeht das so schnell!‘ ... Und wie stehen die Männer,
die künftigen Ehekandidaten, dem ‚lieben Kerl‘ gegenüber?
Schätzen sie ihn nach Gebühr oder trauern sie insgeheim doch den
verträumten, holden, dem intellektuell unbeschwerten Mädchen
früherer Zeiten nach – es gab so viele Spielarten in der
Vergangenheit und wird auch in der Zukunft gewiß noch ebenso viele
geben. Kenner aller Jahrgänge haben mir indessen versichert, daß
die ‚Fechsung 1932‘ besonders gut gelungen sei und der stürmische
Most einen exzellenten Wein verspräche. Also Glück auf, lieber,
kleiner Kerl.“ – Der Adel kritisierte indes zumeist allgemein
„das moderne Mädchen, das eine große Selbständigkeit und freie
Lebensansichten an den Tag legte, mit dem man ohne Scheu über alles
plaudern konnte und das selbst Themata anschlug, die er bis dahin
selbst entweder zu trocken oder als unpassend in Damengesellschaft
betrachtet hatte.“ Zitiert nach Artur Zapp: Der holde Schein. Roman
einer Schauspielerin, in: Tages-Post (Linz), Ausgabe Nr. 112 vom 17.
Mai 1913, Seite 1. – Conrad weist (Seite 61) auch auf die
grundsätzliche Feindschaft des Adels der Weimarer Zeit wider
Schauspieler*innen hin, diese seien „Türsteher der Hölle“. Zu
den Feindbildern des westfälischen Adels zählte auch das Kino
(Seite 228), ungeachtet der Tatsache, daß der Adel in Filmen
bisweilen sich selbst spielte. Dazu siehe Claus Heinrich Bill: Der
deutsche Adel geht ins Kino 1918 bis 1933. Nobilität und
Kinematographie der Weimarer Republik im rezeptionshistorischen
Gesichtswinkel, in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche
Adelsforschung, Band 6, Folge Nr. 25, Sonderburg: Selbstverlag des
Instituts Deutsche Adelsforschung 2003, Seite 1236-1276. Zu den vom
Adel abschätzig betrachteten „modernen Mädchentypen“ zählten
indes der Vamp, das Gibson-Girl, der Fluffy-Ruffle oder der Flapper.
Dazu siehe exemplarisch nomen Nescio: Fluffy-Ruffles, in: Prager
Tagblatt (Prag), Ausgabe Nr.361 vom 31. Dezember 1907, Seite 6.
- [26] =
Prager Abendblatt (Prag), Ausgabe Nr. 94 vom 26. April 1875, Seite 2
(Meldung ohne Titel).
- [27] =
Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der gräflichen Häuser, Band
47, Gotha: Justus Perthes 1874, Seite 228 (Artikel
„Droste-Vischering“).
- [28] =
Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der gräflichen Häuser, Band
71, Gotha: Justus Perthes 1874, Seite 279 (Artikel
„Droste-Vischering“).
- [29] =
Nicht ersichtlich und unbegründet indes ist der Grund für seinen
Schimpflklatsch wider das Phänomen der Adelshochstapelei. Diese
soziale Erscheinung würde lediglich die Brüchigkeit des modernen
Elite- und Adelsanspruchkonzeptes anzeigen. Dabei zeigt es nach
anderer Meinung gerade die Lebendigkeit des Adelskonzeptes an. Conrad
muß sich daher auch die Frage stellen lassen, woraus denn sonst der
Erfolg von hunderten alltäglichen Hochstapler*innen in der
Formierungsphase der Moderne resultierte, wenn nicht aus einer
nichtadeligen und fortdauernden Faszination des Adels bei sogenannten
„Außenstehenden“, die jedoch so „außenstehend“ gar nicht
waren, sondern stets notwendig aktiv an der Erzeugung von Adel (die
bei Conrad nicht thematisiert wird, da er davon ausgeht, daß Adel
„einfach da“ sei) beteiligt waren.
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