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Die Welt des Adels vom Mittelalter bis in die GegenwartBetrachtung aus einer journalistischer Sicht des frühen 21. JahrhundertsIn einer Wiener Zeitung wurde im Jahre 1883 über die Eröffnung einer Hunde-Ausstellung berichtet; dazu hieß es: „Gestern Vormittags 9 Uhr wurde in den Sälen der Gartenbau-Gesellschaft, die vom Ersten österreichischen Geflügel- und Hundezucht-Verein veranstaltete Hunde-Ausstellung eröffnet. In mit Tannenreisig dekorirten Verschlägen sind die ausgestellten Vierfüßler untergebracht und umfaßt die Ausstellung nicht weniger als 400 Nummern, welche in 10 Gruppen eingetheilt sind. An dieser schließt sich eine Exposition von gewerblichen, literarischen und Kunstgegenständen, Futterartikel und Arzneien an, welche mit dem Hundesport, der Züchtung, Dressur und Benützung der Hunde im Zusammenhang stehen. Es ist in der That eine stattliche Reihe von Hunden reinster Race zur Ausstellung gelangt. Unter den vielen erponirten Exemplaren sind[,] besonders erwähnenswerth, in der Gruppe III die englischen und deutschen Vorstehhunde, die Gruppe IV[,] ausländische Hunde[,] weist prachtvolle Exemplare, der sogenannten Englisch Pointer, Setter, Irish- und Jordon-Hunde aus, letztere Gattung in besonders großer Anzahl und von reinster Race. In der II. Abtheilung, in welcher die Gruppen VIII, IX und X eingetheilt sind, befinden sich die Hunde, welche nicht zur Jagd verwendet werden, wie Neufundländer, Alpen-Hunde (Bernhardiner, kurz- und langhaarige), deutsche und englische Doggen, Buldoggen, Pintscher etc.; in der letzten Gruppe X finden wir vertreten zahllose Arten kleiner Stuben- und Damenhündchen, so wie Affenpintsche[r], Möpse, Seiden- und Zwergspitze und nackte Hunde. Die dritte Abtheilung[,] in fünf Gruppen getheilt, enthält Industriegegenstände, und zwar Thiergemälde, Albums, Fachzeitungen und Zeitschriften, Ausrüstungs-Dressur, ausgestopfte Thiere, Häute, Felle, Leder. Besonderes Interesse erregten die beiden thibetanischen Hunde des Grafen Bela Szechenyi und ein englischer Pointer (kurzhaariger Vorstehhund). Sein Inhaber verlangt für das Thier, welches auf den Namen `Marschall Prim‘ hört, nicht weniger als 8000 fl.[orin], es ist dies aber auch das werthvollste Ausstellungs-Object. Der Besuch in den ersten Vormittagsstunden war ein verhältnißmäßig starker. Nach dem Ausspruch der vielen erschienenen Hunde-Amateurs und Händler übertrifft die diesjährige Exposition sowohl qualitativ als auch quantitativ die früheren Ausstellungen. Im Laufe des Tages findet die Anerkennung der zahlreichen Ehren und sonstigen Preise statt. Als Preis-Richter functionirten Prinz Solms, Carl Fürst Schwarzenberg, Josef Graf Hoyos, als Delegirter des niederösterreichischen Jagdschutz-Vereines, Baron v.Rauch (Frankfurt), Soltär v. Hanoay (Ungarn), Dr. Bodinus (Berlin), Ludwig Beckmann (Düsseldorf), Franz Ronhäuser (Wien) und Franz Sprosse (Mauerbach). Mit Rücksicht auf die noch immer herrschende Kälte sind alle Räume der Ausstellung geheizt. Dieselbe bleibt bis inclusive den 28. März geöffnet.“ [1] Auffallend nun an dieser Nachricht ist die große Beteiligung des Adels an Fragen des „guten Geschmacks“ in der Hundezucht, dem man hier offensichtlich ein besonderes Geschick zu einem fachlich-ästhetischen Urteil zuschrieb. Auch wurde ein ungarischer Adeliger besonders hervorgehoben, der über seine asiatischen Hunde zu besonderer Erwähnung gelangte und dadurch unter seinen miterwähnten Standesgenossen eine herausgehobene Anerkennung erhielt. Auch wenn die Hunde hier insgesamt in der Perspektive des anonymen Journalisten nur als „Objekte“ verstanden worden sind, so waren sie doch, und hier war die Nennung der Nähe zum Adel nicht zufällig, ein wichtiger Bestandteil sozialer Unterscheidung zwischen Adel und Nichtadel. [2] Der Adel, in seinem idealen Selbstbild ohnehin besonders landverbunden und rural orientiert, [3] konnte sich über Hunde, die (als kriegerische Raubtiere) [4] zudem meist auch Jagdtiere waren, eine besondere Form von Aktanten beilegen, die mit ihm zusammen Distinktion betrieben, einen sozialen Unterschied zu anderen Bevölkerungsschichten machten. [5] Dies galt insbesondere für geschlechtlich zugewiesene kostspielige Hunde, die über das rein pragmatische Interesse an ihnen und einen „praktischen Nutzen“ hinaus gingen; Damenhündchen ebenso wie prestigeträchtige ausländische Hunde und Jagdhunde zählten zu den besonderen Hunden, die über weit verbreiteten Hundearten (wie dem Schäferhund oder gar dem Mischlingshund) und in besonderer Verknüpfung mit der Aristokratie standen. [6] Nicht zuletzt zu diesem Bereich der Adelsforschung und des Adelslebens ist nun ein neues Buch in der Deutschen Verlagsanstalt erschienen; es trägt den Titel „Die Welt des Adels – Europas Herrscherhäuser vom Mittelalter bis heute“; [7] hierin ist auch ein Abschnitt über die Hunde Bismarcks und der Queen zu finden (Seite 170-172). Der Titel des ansprechend gebundenen Werkes ist zwar ein wenig irreführend, denn zumindest der Untertitel sagt zu wenig über den Inhalt aus. Zwar gibt es tatsächlich Vorstellungen von zwölf ehemals herrschenden fürstlichen Häusern (Seite 203-227), diese aber beschränken sich als „Steckbriefe“ doch nur auf einen Minderteil des Gesamtwerkes. Der Großteil des Buches behandelt vielmehr Aspekte vor allem des Adels in den deutschsprachigen Ländern (mit geographischen Ausflügen auch in andere europäische Länder wie Großbritannien). Die anderen Themen, die in den gut zwei dutzend Abschnitten, die jeweils über nur wenige Seiten gehen und leicht lesbar sowie unterhaltsam präsentiert werden, oft versehen mit Bonmots und Anekdoten, manchmal auch nur bestehend aus besonders ausgewählten und prägnanten Zitaten (wie im Falle der Frage der Frage der Bedeutung des Adels im 21. Jahrhundert auf den Seiten 199-201 oder des Alltagslebens von Adelsfrauen um 1800 auf den Seiten 91-111), stellen einen Parforceritt durch die Adelsgeschichte von 750 nach Christus bei heute dar. Angesprochen werden sehr unterschiedliche Themen, eben nicht nur die Hundefrage, so daß Schlaglichter auf die ganze Bandbreite der sozialen Elitengeschichte geworfen werden, auch auf eher wenig behandelte Themen wie Ziereremiten oder die Bedeutung der Mode für den Adel als Distinktionsmittel (ähnlich wie bei den Hunden). Den Verfassenden, teils Journalist*innen und teils Historiker*innen, ist es mit dem Werk gelungen, ganz in der Tradition von Winter (1981), Stiller (2015) und Rogasch (2004) stehend, [8] ein gut lesbares Überblickswerk zu schaffen, daß die Neugier von Lesenden zu wecken vermag, wenn man sich noch nicht gut mit dem Thema auskennt, aber eine Resonanz dazu spürt. Dabei spart das Werk durchaus nicht mit Kritik, läßt Renegat*innen zu Wort kommen (Seite 191-197 und 199), berichtet über Verstrickungen des Adels mit dem Nationalsozialismus (Seite 156-168), beschäftigt sich in längeren und kürzeren Interviews aber auch mit dem Selbstverständnis einzelner Mitglieder der Erinnerungsgemeinschaft des Adels im 21. Jahrhundert ebenso wie mit den selbstauferlegten Verpflichtungen von Angehörigen des historischen Adels, die angeben, für das Gemeinwohl tätig sein zu müssen (Seite175-189, 201). In jeweils – rund eine Seite umfassenden – Kurz-Statements mit dem Titel „Schnelles Wissen“ werden in dem Werk außerdem Begriffe geklärt, so beispielsweise zur Adelsprobe (Seite 25), zur Burgenzahl in Deutschland (Seite 37) oder zur Kopfzahl adeliger Familien in den deutschen Ländern (Seite 152). Der Schreibstil ist lesefreundlich, verschiedenste Meinungen zum Adel werden ausgeglichen präsentiert, Respekt, Ehrfurcht und Deferenz aber ebenso wie Spott und kritische Untertöne nicht ausgespart. Die Mannigfaltigkeit der präsentierten Meinungen geht hier wohl auf eine gelungene Mischung aus Wissenschaftler*innen, Betroffenen und Journalist*innen zurück. Allerdings hat das Werk auch Nachteile. So werden, bis auf eine einzige Ausnahme (Seite 111), keine Quellen angegeben, was die Artikel leider zur Weiterverwendung in der Adelsforschung weitgehend unbrauchbar macht. Die Texte stehen daher isoliert da, müssen Behauptungen bleiben, da die Herkunftsfundorte der Informationen bedauerlicherweise nicht nachgewiesen werden. Die Leseempfehlungen (Seite 238-240) sind mehr als dürftig, hier hätte man auch auf einschlägige Bibliographien zum deutschen Adel verweisen können. [9] Auch das Versprechen der Herausgebenden, den Adel nach den „neuesten Forschungen“ darzustellen (Seite 12), wird nicht eingelöst; gerade bei Ziereremiten nicht; [10] aber auch Eigensinn, [11] Aristokratismus [12] und die Frage der Adelserzeugung durch Aktanten, Dinge, Objekte und soziale Mitwelten [13] ebenso wie Disability Studies, [14] um nur wenige Beispiele zu benennen, bleiben vollkommen ausgeblendet – gehören aber zu den „neuesten Forschungen“, da die Adelsforschung in Deutschland nach wie vor recht rege und produktiv ist. Insgesamt ist daher ein gemischtes und kein eindeutiges Fazit über das Werk zu ziehen. Das vorliegende Buch ist zur Einführung in die Thematik gut geeignet, behindert aber das Weiterlesen und -orientieren, re/produziert auch selbst öfters Stereotype zum Adel und ist teils sensationalistisch angelegt. [15] Ein gutes Beispiel für öffentliches Interesse am Adel aber ist es gleichwohl, für spätere Forschende auch ein Spiegel des Zeitinteresses des frühen 21. Jahrhunderts und als solches eine wertvolle Quelle über derzeit artikulierte und virulente Anschauungen und Interessen zum Adels-Thema der Jetztzeit, die aus einer Mischung aus Faszination und Verachtung besteht, wobei insgesamt die Simmel‘sche „dauernde Wertsubstanz“ präsentiert wird, die den Adel als „Insel in der Welt“ zeigt. [16] Dieser Aufsatz stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., B.A., und erscheint zugleich in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung in gedruckter Form. Annotationen:
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